Befreit vom Eise …

So geht es zurück in eine große eisfreie Zone. Wir werden warten müssen. Der Kapitän meint dass – so schnell wie sich die Eismassen bewegen – wir es wohl selber schaffen, hat aber vorsichtshalber schon mit einem Eisbrecher in der Nähe gesprochen.

Also essen wir erst einmal zu Abend. Bis es draußen wieder knirscht.

Joachim steht im oberen Krähennest und gibt immer wieder Rückmeldung an Steuerfrau Svenja.

Auf einmal schieben wir eine riesige Scholle vor uns her. Links erscheint eine Robbe und schaut verwundert zu.

Wir fahren zwischen den Schollen durch. Einige reiben noch einmal ihre Kanten am Schiffsrumpf und schleifen sich glatt und braun. Dann haben wir es geschafft und der Kapitän bekommt Applaus als er sich vom Krähennest abseilt.

Wehmütig schaue ich auf das langsam am Horizont verschwindende Eis, das vom ersten Sonnenstrahl seit Tagen beleuchtet wird. Keine Umrundung :-( .
Ich habe die Hoffnung, dass wir vielleicht noch andersherum bis hinunter in den Hornsund kommen. Mal schauen, was sich unsere Guides und der Kapitän als Alternative ausdenkend.
Ob des schönen Tages ist die Stimmung aber nicht allzu sehr gedrückt.

Heute gibt es keine Ankerwache. Die Rückfahrt zu unserem letzten Ankerplatz am Sorgfjord dauert bis tief in die Nacht als die meisten so wie ich schon tief und fest schlafen.

Hinlopenstraße

Kurz vor drei stehe ich mit Johannes draußen unterm Dach und wir reden über Wale. Er hat selbst noch nie welche gesehen. Ich erzähle von meinem Traum, dass Aquarium in Okinawa zu besuchen – mein einziger Grund, nach Japan zu fahren (ich weiß, ich sollte gegen meine Vorurteile ‚mal etwas tun. Tipps dazu gerne im Kommentar). Im Aquarium haben sie Walhaie. Das muss man sich mal vorstellen!
In genau diesem Moment sehe ich einen runden Rücken und eine Finne, vielleicht dreihundert Meter entfernt. Der erste Wal der Reise. Ein Zwergwal (meint Jan später). Karin und Stefan erzählen, sie haben den Wal auch gesehen. 
Im Laufe der nächsten halben Stunde sehe ich noch drei mal Walrücken in der Ferne. Jelle auch. Die meisten Anderen gehen schnell wieder hinein. Ich brauche diesmal ein bisschen länger, bis es mich wieder in die Wärme des Salons zieht.

Gegen halb Vier hört man es draußen knirschen. Das Schiff durchfährt mit halber Kraft ein Treibeisfeld. Zeit sich warm anzuziehen, die Mütze aufzusetzen und aufs Eis zu freuen.

Mir wird in diesen Stunden klar: dass ist der Grund warum ich in diese kalten Gegenden fahre – das Eis. Auch wenn – nicht wie in der Antarktis – die Sonne scheint. Es ist neblig. Das Packeis häuft sich auf. Das Wasser ist spiegelglatt. Wären wir nicht alle so aufgeregt, man könnte die Stille mit Händen greifen – wenn das Eis nicht gerade kracht. Rundherum, links bis zum Gletscher, rechts bis zum Horizont Eis, nur durchbrochen von schmalen Kanälen. Darüber ziehen Vögel: Dickschnabellummen, um diesen langen Namen müssen wir irgendwie unsere Zungen herum bekommen (der englische Begriff Alk ist so viel kürzer). Irgendwo hinter dem Nebel gibt es hier einen Vogelfelsen, den sie anfliegen, mit kleinen Fischen im Schnabel.

Jan und Jelle pressen die Ferngläser vor die Augen auf der Suche nach dem worauf wir alle warten – den König der Arktis, nach Eisbären. Und wir haben Glück. Schon nach zehn Minuten kommt Jan vom Vorderdeck und ruft "Bären".
Bis ich den kleinen Fleck in den Eismassen finde, vergehen bestimmt weitere zehn Minuten. Svenja manövriert hin und her. Kaum Zeit ein Stück Apfelkuchen mit Sahne zu verdrücken.
Der Bär ist immer noch weit weg, aber jetzt mit bloßem Auge zu erkennen. Er liegt auf dem Eis. Dann steht er auf und fängt an zu wandern.

Die Robbe, die alleine an einem Eisloch sitzt, sieht ihn schon von weitem und verschwindet. So richtig Hunger scheint er nicht zu haben. Und meine blutrünstigen Mitfahrer ;-) müssen auf ein abgezogenes Robbenfell oder den Blutfleck auf der Scholle verzichten.

Kurz darauf ist die Scholle vor uns dafür rostig rot. Uns war schon länger klar, dass wir die Hinlopenstraße nicht schaffen würden: zuviel Eis vor uns. Aber während wir dem Bären zuschauten, hat sich auch von hinten dichteres Eis an geschlichen, breit und zu dicht für unser nicht eisfestes Schiff. Die Antigua stößt und versucht ihr Bestes, aber sie schafft es nicht.

Wanderung im Eolusneset

Dieser Tag ist ein besonderer Tag, denn wir wollen schauen, wie weit wir in die Hinlopenstraße hineinkommen.

Aber zuerst dürfen wir uns noch ein bisschen bewegen. Unterhalb des Steinhaufens, den wir schon während der Ankerwache gesehen hatten, fahren uns die Dingys an Land. Wir steigen hinauf und gehen dann quer über die Tundra. Eigentlich ist „Tundra“ für Eolusneset der falsche Begriff, denn wir befinden uns inmitten einer „arktischen Kältewüste“ . Wenn man genau hinsieht gibt es auch hier noch Blüten, klein und rosa und sehr vereinzelt. Gelegentlich richtige Mooskissen. Immer wieder Wasserpfützen und schmale  Rinnsale. Klares Wasser, das oft wie eine Linse über den Pflanzen liegt.

In einem großen Bogen geht es zurück zum Strand. Die Brandung ist zu Eis und Schnee gefroren, aber mir fällt eher die durchsichtige Eisschicht auf, die über den Kieseln liegt. Sabine stöhnt, dass es alle so eilig haben. Sie liebt es, die kleinsten Flechten und Moose zu fotografieren.
Ich finde die Wanderung sehr angenehm.  Man konnte weit ausschreiten, mußte nur ein bisschen auf die Füße achten. Der Blick ist weit, der Nieselregen bald vergessen, die Gruppe zieht sich nicht zu weit auseinander. Ich hätte gut noch weiterlaufen können.

Ach ja, der Ort wo wir wandern waren, heißt Eolusneset, weil er benannt nach dem Schiff Eolus aus einer schwedischen Spitzbergen-Expedition von 1861. Adolf Erik Nordenskiöld, einer der Expeditionsteilnehmer bezwang später als erster Mensch die Nordwestpassage

Ankerwache

Ich hatte mich gestern Abend für die Ankerwache gemeldet und Kathrin mitgezogen. Daher klingelt der Wecker heute schon um zwanzig vor Vier. Wir werfen uns in unsere Jacken und sind schon fast fertig als Barbara, die Mutter von Lars, zum Wecken kommt.

Lars erklärt die GPS-Karte auf dem Brücken-Laptop. Bisher war noch nicht viel los. Nur sehr schönes Licht zwischen Eins und Drei.
Ich setze mich mit Blick aufs GPS und wir beobachten, wie das Schiff im Halbkreis Zickzack im Sorgfjord fährt. Wir sollen zum Beispiel darauf achten, ob es größere Kursabweichungen gibt. In der vorletzten Nacht hatte sich das Schiff beispielsweise einmal vom Anker losgerissen. Bevor das die Drei auf der Ankerwache bemerkten, war der Kapitän aber schon oben. Joachim schläft nämlich direkt neben der Ankerkette und bekommt daher größere Bewegungen gleich zu hören.
Die Gefahr, daß sich ein Gletscher kalbt oder ein Eisberg dem Schiff zu nahe kommt besteht hier im Sorgfjord nicht so sehr. So können wir einfach die Ruhe genießen.

Kathrin und ich unterhalten uns über Fotokurse und über ihre Suche nach einer Psychologie-Praxis, in der sie sich einkaufen kann, und wir nutzen beide die Gelegenheit, in Ruhe die Brücke zu fotografieren.

Draußen kreist ein Möwenschwarm um einen aufgehäuften Steinhaufen auf der Spitze eines Hügels, der den Fjord überblickt.

Um kurz vor Sieben gehe ich Lilian, Lore und Juan wecken und sie kommen zur Ablösung. Und lege mich bis halb Neun nochmal hin.