Wir gehen an Bord

Gegen halb sieben sind Kathrin, Elfi und ich unten am Hafen und treffen im Windschatten einer Lagerhalle auf einen kleinen Kreis unserer Mitreisenden. Anneliese und Johannes sowie Waltraud und Maren, alle vier in der (altersmäßig) älteren Hälfte der Reisegruppe. Um sieben haben sich dann auch die Übrigen versammelt. Selbst die beiden Ehepaare, die in Longyearbyen übernachtet haben, haben uns und das Schiff gefunden, was angesichts der Ausdehnung des Hafens über Kilometer entlang des Adventsdalen (einem Seitental des Isfjords) gar nicht so einfach ist.

Der Kapitän kommt persönlich mit dem größeren der beiden Dingys und teilt die Schwimmwesten aus. Oh, oh, unförmige Teile, riesig im Vergleich zu denen, die Kathrin und ich aus der Antarktis kennen. Sie bestehen im Prinzip aus zwei schwimmfähigen Blöcken, die in wasserfesten orangenen Stoff gehüllt sind und mit einem schwarzen Gurt um den Rücken herum festgezurrt werden. Dazwischen klemmt der Kopf.
Der Matrosengriff scheint auch nicht üblich zu sein, obwohl der doch um einiges stabiler ist als sich einfach an der Hand zu fassen. Und auf die Schrittfolge (man tritt immer mit beiden Füssen auf eine Stelle, also erst auf den Bootsrand mit beiden Füssen und dann erst mit beiden Füssen in das Dingy hinein) wird auch nicht hingewiesen. Dabei kann man bei starkem Wellengang Spagat machen, wenn man das nicht beachtet. Na ja, vielleicht nach einer Einweisung wenn wir an Bord sind? Wellengang ist derzeit ja nicht.

Besonders groß ist das Deck der Antigua wirklich nicht, aber ich denke, es wird reichen für die nächsten zwei Wochen.
Elfi schläft in "Barbados" und teilt ihre Kabine mit Lilian aus der Schweitz. Kathrin’s und meine Kabine heißt Anguella nach einer Karibikinsel und sie ist wirklich winzig. Auf der Mikheev hatten wir doch ein oder 2 Quadratmeter mehr, würde ich schätzen. Ok, dafür aber auch das Bad auf dem Flur. Hier ist am Ende unserer Kabine das Bett, ca. 2 m*1m groß. Links ist ein offenes Regal für Kleider (Schwankt das Schiff denn gar nicht? Fliegt das Zeug dann alles raus?) und ein kleines Waschbecken. Rechts geht eine Tür ins Bad, das Toilette und Dusche vereinigt und vielleicht 70 cm breit und 1,40 lang ist. Im Gang dazwischen kann man sich mit etwas Geschick zu zweit gleichzeitig umziehen. Ich schlafe oben und habe ein kleines Bullauge am Fußende. Knapp 30 cm darunter schwappt die Wasseroberfläche. Kathrin im Bett unter mir schläft also quasi unter Wasser, ich auf der Wasseroberfläche. Wir hören es plätschern. Ob ich in Schräglage durch das Bullauge den Fischen zusehen kann?

Um acht Uhr Abends trifft sich die Gesellschaft zum Abendessen im Salon. Um drei große Tische herum sitzen alle zusammen. Es gibt Buffet: Nudeln mit Sahnesauce und anschließend Karamellcreme.

Die Reisegesellschaft ist gemischten Alters,. Ich schätze zwischen 20 und 72 Jahren. Viele Ehepaare, auch zwei Familien.

Die Mannschaft besteht aus Kapitän Joachim, Steuerfrau Svenja, den zwei Hausdamen Kati und Leonie und den beiden Matrosen Jannes und Dirk. Nicht zu vergessen unser Smutje Tricia, die ich (soorry) fast erst für ein Kind gehalten habe, weil sie so klein ist.

Der Kapitän beschreibt die Schiffstechnik.
Das Trinkwasser generiert das Schiff selber. 10 Tonnen haben wir geladen und wir können zwei Tonnen pro Tag produzieren. Das ist bei vierzig Leuten (mit Besatzung) nicht viel und wir sollen z.B. maximal fünf Minuten duschen (was ich ganz schön lang finde). Die Toiletten werden mit Meerwasser gespült und wir werden vorgewarnt,: in Longyearbyen in der Bucht ist das Wasser sandig, es kann also braun aus der Spülung kommen. Verstopfung kann durch die Sedimente auch passieren und wir sollen bloss nicht versuchen, dass selber zu reparieren.
Der Müll wird getrennt und der Biomüll wird gehäkselt und geht an bestimmten Stellen über Bord.
Eine Notfallübung gibt es nicht direkt, aber uns wird der Alarm vorgespielt. der erste Teil ist lang andauernd und laut, sozusagen zum aufwecken. Richtig ernst wird es aber erst beim zweiten Teil. Die Rettungsinseln stecken auf den obersten Deck in mehreren Tonnen.

Es gibt jeden Tag vier Mahlzeiten – Frühstück, Mittagessen, Kaffee (und Kuchen) und Abendessen. Kaffee, Tee und Wasser sind frei, alle anderen Getränke gibt es gegen Bezahlung. Dafür schreibt man dann bis Ende der Reise an. Die Preise sind zum Glück nicht norwegisch.

Unser beiden Guides, die uns draußen an Land begleiten werden, heißen Jan, 62 Jahre alt und Jelle, ca. 27 Jahre alt. Beide kommen aus den Niederlanden. Jan hat lange Jahre in der holländischen Naturschutzbehörde gearbeitet. Als er in Rente ging, ist er angefragt worden, ob er Lust hat, im Sommer Gruppen durch Spitzbergen zu begleiten. Dabei kannte er die Gegend damals noch gar nicht. Mittlerweile ist er im vierten Jahr hier. Jelle verbringt hier seine Urlaubszeit als Guide.

Und dann noch eine vorweggenommene Enttäuschung: Joachim warnt uns vor: Segel werden wahrscheinlich nicht allzu oft gesetzt. Der Wind passt einfach nicht :-( Schaaade! Das war doch mein Traum, flatternde Segel. Aber es gibt ja noch die andere Hälfte meines Traums: die Arktis zu sehen.

Heute Nacht liegen wir erst einmal weiterhin im Hafen von Longyearbyen. Es fehlt noch eine Genehmigung des Sysselmanns – des Gouverneurs von Svalbard. Und ein Austauschmotor für eines der Dingys. So müssen wir mit unserer Abfahrt auf morgen – Montag – früh warten. Allzu spät wird es an diesem Abend nicht. Selbst Photos habe ich an diesem Abend kaum noch gemacht. Nur dieses eine

(und das gab es schon einmal so ähnlich).

Longyearbyen

Morgens, in der Hotellobby in Oslo, sehen wir zum ersten Mal unsere Reisegruppe. Ich bin positiv überrascht über den Altersdurchschnitt, der in etwa in meinem Alter, vielleicht sogar darunter liegt. Auf dem Weg durch den Check In bis zum Flugzeug verläuft sich die Gruppe aber erst einmal wieder.

Spitzbergen wird zwar von Norwegen verwaltet, liegt aber wesentlich weiter von Oslo entfernt als Frankfurt. Erst nach knapp vier Stunden Flug taucht das Flugzeug durch die Wolkendecke und wir sehen zum ersten Mal die Berge von Svalbard, schneebedeckt mit nur wenig strahlenförmigen schwarzen Streifen. In Küstennähe malen Flussläufe Fadenspiele in grellgrüne Deltas hinein.

Um zwei Uhr Mittags landen wir auf Svalbard – so der norwegische Name der Inselgruppe. Erst wenn man es genauer nimmt, landen wir auch auf Spitzbergen, denn das ist der Name der Hauptinsel.

Die Koffer umkreisen einen ausgestopften Eisbären, den wir natürlich pflichtschuldig fotografieren.

Draußen wartet der Bus, der uns zum Hafen bringt. Da liegt es vor uns, unser Schicksal für die nächsten zwei Wochen, ungefähr 50 m vom Ufer entfernt. Und wirkt winzig. Ob wir da wirklich alle drauf passen?
Bis wir uns das näher ansehen können, wird noch ein bisschen Zeit vergehen. Nur die Koffer setzen in einem Dingy (in der Antarktis hat man das Zodiac genannt) über.

DSC_0546

Uns bleiben jetzt geschlagene viereinhalb Stunden für die Inselhauptstadt Longyearbyen. Eine Hauptstadt in Dorfgrösse mit viele bunt angemalten Häuser, neben denen Schneescooter stehen. Schnee ist aber weit und breit nicht zu sehen, sieht man von den Berggipfeln ab. Und es ist kaum jemand auf der Straße. Sonntag nachmittag. Ob die gerade alle Kaffee trinken? Oder Tee?
Küstenseeschwalben kreisen laut schreiend über den Kiesfeldern am Straßenrand und greifen an, wenn man ihren Nestern zu nahe kommt. Auf den Wiesen zwischen den Häusern blühen weiße Wattebäusche – Wollgras genannt.

Nach einem ersten Rundgang durch die Stadt gehen wir zum Touristenzentrum: Postkarten kaufen, denn diese Gelegenheit werden wir danach höchstens noch in Ny Alesund, vielleicht noch, gegen Ende der Reise in Barentsburg, haben. Das Gebäude beherbergt auch das Svalbardmuseum mit einer wirklich sehenswerten Ausstellung über die Inselgruppe und ihre tierischen und menschlichen Bewohner. Gezeigt werden historische Artefakte und die heimische Tierwelt in Form von ausgestopften Exemplaren. Der Eisbär hat eine wirklich beachtliche Größe. Kathrin meint, es sei ein Weibchen. Ok, dann möchte ich definitiv keinem Männchen begegnen, denn die Männchen sind noch größer.

Wir trinken Kaffee an der Hauptstraße und laufen noch hoch zur ökumenischen Kirche.

Von hier oben wirkt die Antigua noch kleiner.