Skansbukta

Der letzte Morgen unterwegs ist angebrochen. Die Wolken liegen tief in den Berggipfeln. Diese Wolkenstimmung hat mich schon während der ganzen Reise fasziniert.

Wir ankern in der Skansbukta und gehen an einem gestrandeten Wrack an Land. Gut, dass es uns besser erging, aber es sieht schon irgendwie malerisch aus.

Rund um einen kleinen Wasserlauf ist der Boden knallig grün. Es reicht nicht, wenn es nur regnet, das Wasser muss von unten kommen. Aber nicht zuviel.

Am Ufer steht eine kleine Hütte, offensichtlich gut in Schuss und in Benutzung. Aber die Bewohner möchten keinen Besuch, wir halten Abstand. Stattdessen werfen wir einen Blick auf die kleine Gipsmine etwas oberhalb mit ihren verbogenen Bahnschienen.

Wir wandern weiter entlang des schmalen Ufers und stoßen auf Versteinerungen

Oben im Geröll am Hang wächst einen Jakobsleiter, auf die Jan uns aufmerksam macht. Ich werfe mich in den Dreck. Natürlich mit voller Absicht.

Es bleiben nicht die einzigen Blumen hier. Es blüht an allen Ecken. Auch die Polarweiden haben taubetropfte Blüten. Und die sind bald größer als diese "Bäumchen". selber

Die Gruppe trennt sich wieder einmal, Jan kehrt mit der einen Hälfte zurück, aber ich gehe diesmal mit der anderen Hälfte weiter. Wir wollen versuchen, gemeinsam mit Jelle, zur anderen Seite der Bucht zu gelangen. Das bedeutet, auch einige Wasserläufe zu durchqueren. Mal schauen, wie weit wir kommen. Erst gehen wir ein ganzes Stück ins Land hinein, wo das Wasser schmaler wird. Wir kommen recht gut voran. Aber irgendwann müssen wir umkehren. Die Bäche sind nicht tief, vielleicht wadenhoch, aber dummerweise haben einige nur ihre Wanderstiefel an. Schade. Ich bin mir aber auch nicht sicher, ob es möglich gewesen wäre wirklich durchzukommen. Je weiter wir zur anderen Seite der Bucht kommen, desto breiter wird das Wasser. So kehren wir um zur Stelle wo wir angelegt haben.

Und ich schaue den Gänsen hinterher, die vielleicht gerade nach Süden fliegen. Hinein in die Wolken.

Morgen werden wir ihnen hinterher fliegen.

Abschiedsabend

Abends horche ich auf, als Karin und Stefan zu Yolanda und Thomas meinen "Wenn ihr noch auf den Mast wollt, dann solltet ihr jetzt Bescheid sagen." Die beiden lassen sich Zeit, aber auf einmal sind sie verschwunden. Ich gehe raus um nachzuschauen. Sie haben schon die Sicherungsgurte an. Svenja erklärt ihnen die Sicherungsmaßnahmen. Man muss sich mit zwei Seilen sichern. An jedem Seil ist ein Karabinerhaken, der bei jedem Mal leicht festgeschraubt werden muss. Zuerst geht es auf das Bord auf dem Vorderdeck und dann in die Wanten und zwar von außer. Man verlässt also kurz den Bereich des Schiffs. Dann geht es hinauf. Unten ist es wohl ziemlich wacklig, auch weil die Schritte  insbesondere beim ersten Holzschritt recht groß sind. Nach oben wird es einfacher.

Thomas ist im Nu oben im ersten Krähennest. Dafür muss er übrigens quasi einen Überhang hochklettern. Er darf auch noch bis zum nächsten Krähennest hinauf. Yolanda braucht ein bischen länger, sie hat keine Vorerfahrung, schraubt sorgfältig und stoppt dann unterm Krähennest und beschließt wieder zurückzukehren. "Juchhu, ich bin schwindelfrei.", strahlt sie übers ganze Gesicht.

Jetzt wollen auch Nicole und Steffi. Schließlich sitzt Nicole im oberen und Steffi im unteren Krähennest. 

Während die beiden noch am klettern kommt Joachim heraus und fragt, wer Lust zu einem Lagerfeuer hätte. Natürlich (wieder fast) alle, nur fünf der Passagiere bleiben auf dem Schiff zurück. Am Strand wird passendes Treibholz zu Bänken gruppiert und in der Mitte ein Lagerfeuer entzündet. Verfeuert werden darf hier in Svalbard nur unbearbeitetes Holz. Wir sitzen in großer Runde und es gibt passend zu den milden Temperaturen Glühwein. Allerdings schneit es nicht, es fieselt

Jemand fragt Joachim, ob es ihm schadet, dass das Schiff fest lag. Er erzählt, dass so etwas in der Ostsee eigentlich regelmäßig passiert, dass also echte Sorge unnötig war. Eigentlich fand er dass Festsitzen im Eis schlimmer, denn auf das Eis hat er keine Einfluss. Beim Festsitzen kann er sich helfen (was wir ja erlebt haben).

Irgendwer fragt, ob es in Spitzbergen Piraten gegeben hat.

Joachim geht richtig aus sich heraus, sitzt dort in Jeans und gewachster Jacke, die geschnürt wird, bittet per Funk um sein en mexikanischen Poncho und mummelt sich ein, erzählt, dass er immer froh ist, wenn der Winter vorbei ist weil er es nicht mag, in großen Städten zu wohnen. Er als Kapitän hat eine Festanstellung. Alle anderen, auf dem Schiff sind Saisonkräfte. Jannes ist der Sohn der Schwester seines besten Freundes. Es gibt wohl noch viel, die ein oder mehrere Saisons auf Schiffen fahren, vor oder nach dem Studium oder einfach einmal so.

Es wird kühl und der Kreis ums Feuer wird enger. Ich habe in meinen sonst recht bequemen Gummistiefeln kalte Füße trotz zwei Paar Socken und genug Bewegungsfreiheit für die Zehen und fahre schließlich mit Elfi zurück zur Antigua. Auf dem Schiff macht heute Steuerfrau Svenja den Salon. Leonie ist krank, anscheinend hat sie unsere Borderkältung mit genommen.

Meine Erkältung ist wieder weg.

Pyramiden im Norden

Der Gedanke an das Ende der Reise rückt immer näher. Morgen mittag werden wir in Longyearbyen sein.
Heute komme wir wieder in die Nähe der Zivilisation. Ehemalige Zivilisation kann man auch sagen, denn Pyramiden ist eine seit 1998 im wesentlichen verlassen sowjetische Bergarbeiterstadt.

Thomas freut sich, auf Pyramiden hat er nicht zu offen gewagt. Ruinen und verlassen Städte haben fotografisch einen ganz besonderen Reiz.

Aus dem Nebel tauchen die ersten Gebäude auf. Langgezogene Lagerschuppen. Irreal nach all der Wildnis in der die größten Gebäude der letzten beiden Wochen Trapperhütten waren, in denen man gerade so stehen konnte. Nach kurze Zeit erkennen wir schon die Streben der Kräne.

Am Ufer erwartet uns unser russischer Guide. Mathematikstudent, der zwei Sommer a 5 Monaten hier verbringt um seine Kasse aufzufüllen. Er ist nicht alleine, noch drei weitere Guides leben mit ihm im Hotel und oberhalb eines Schuppens.

Im Sommer ist dies kein einsames Leben, da regelmäßig Touristengruppen den Ort besuchen. Pyramiden ist ein einer Entfernung, die für einen Tagesausflug von Longyearbyen ausreicht. Aber nicht nur Touristen sorgen für Arbeit. Pyramiden ist so einer Art Lager für Barentsburg geworden – dem anderen, noch aktiven, Bergbauort auf Spitzbergen. Alles was dort benötigt wird, wird zuerst in Pyramiden gesucht.

"Pyramiden". Witzig, Martina ist gerade in Ägypten unterwegs und nun kann ich ihr sagen, ich hätte auch Pyramiden gesehen. Der Ort hat seinen Namen übrigens vom Hausberg, der sich aber vor uns im Nebel versteckt (weswegen ich Pyramiden eigentlich auch wieder nicht gesehen habe)

Bis zum eigentlichen Ort laufen wir eine gute Viertelstunde, dann sieht man die ersten Wohnhäuser, langgezogene vierstöckige Gebäude mit gleichförmigen Fensterfronten, eine davon in Holz, die meisten in gelbem Backstein. Näher kommend sieht man , das dazwischen zweistöckige ebenfalls langgestreckte Holzhäuser liegen – der ursprüngliche Ortskern.

Unser Guide erzählt von den Namen der Häuser. Paris für die alleinstehenden Damen, London für die Herren und das Crazy House für die Familien. Crazy House, weil die Arbeiter dort vom Lärm der Kinder nicht zum Schlafen kamen. Der Ort hat auch einen Kindergarten und eine Grundschule für Kinder von sieben bis elf. Achtzig bis 100 Kinder haben hier in der aktiven Zeit gelebt. Waren die Kinder zu alt, mußten die Eltern die Siedlung verlassen und zurück in die russische Armut.

Das Leben in Russland dürfte damals nicht leicht gewesen sein. Nicht wenige gingen nach Spitzbergen. Trotz Kälte und Polarnacht und nebligen Sommern waren die Leute hier gut, fast luxuriös versorgt. Es gibt ein Schwimmbad mit einem eigenen Kinderbecken. (VIPS meint unser Guide. Kinder sind doch das wichtigste was wir haben. Very Important Persons. Recht hat er.) und ein Veranstaltungshaus mit Musikräumen und einer Ballsporthalle und einem Kino, dass abendlich um sieben einen Film zeigte.

Pyramiden war eine saubere Bergarbeiterstadt. Die Arbeiter zogen sich in der Mine um und gingen durch einen überdachten Gang zur Arbeit und nach Schichtende ging es wieder durch den Gang zurück, damit auch niemand außerhalb kohleverschmierte Gesichter und Kleidung zu sehen bekam.

Die Kantine war rund um die Uhr geöffnet – die Arbeiter waren in drei bis vier Schichten aufgeteilt – und das Essen muss gut gewesen sein. Jetzt rosten die Geräte der Grossküche vor sich hin. Die Farbe blättert von der Decke und bedeckt den Küchenboden. Nur der Salon wirkt noch repräsentativ, bewacht von Väterchen Frost auf einem Mosaik.

Kurz bevor der Ort Ende der Neunziger evakuiert wurde, wurde noch ein Hotel eröffnet, "Tulipa", der Guide lebt dort zur Zeit. Die Wände sind mit Holz verkleidet und der Souvenirshop hat dort seine Heimat. Die Souvenirs sind sehr russisch. Aber mich packt eher die Versuchung, mir einen Schokoladenriegel zu holen,  die gibt es an Bord nämlich nicht. Ich spüre etwas Entzug.

Hotel, Ostblock
Hotel, Ostblock

Stattdessen gehe ich doch lieber raus, denn das Hotel hat noch mehr Bewohner. Die Möwen haben die Fensternischen als Nistplatz entdeckt und das Hotel in einen Vogelfelsen verwandelt. Und mittlerweile sind Küken da.

Ebeltofthamna

Diesmal führt unsere Wanderung durch unbekanntes Gebiet. Weder Jan noch Jelle sind hier schon gewesen, ein weißer Flecken also auf ihrer Landkarte. Dass Gelände sollte aber flach sein. Die vielleicht letzte Tundrawanderung, da will ich auf jeden Fall dabei sein.

Nach Besuch bei ein paar Tranöfen (auch hier wurden einmal Wale gefangen und verkocht) laufen wir am Strand ein Stück in die Richtung zurück, aus der wir gekommen sind als wir auf einmal sehen, wie Kathrin und Sabine mit Leonie, Jan, Dirk und Joachim ins Dingy steigen. Jelle meint nur. "Belugas!". Wir waren wohl etwas zu früh von Bord. Ob sie Glück haben werden?

Wir Wanderer erhalten noch einmal Gelegenheit,uns viele kleine Pflanzen näher anzuschauen. Und erleben fast alle Bodenvarianten die wir auf der Reise schon vorher hatten,  von steinig über matschig bis hin zur Querung von Bachläufen. Am Ende unserer Wanderung kommen wir zu einer zerfallenen Trapperhütte, auf der eine Seite liegen die Reste des offensichtlich abgetragenen Daches auf der anderen die Reste des Fundamentes.  Noch ein Stückchen weiter liegt ein Ofenrohr und ein Kochtopf.
Etwa unterhab sind Gräber, eines davon nur mit Brettern abgedeckt, aber wir störten die Totenruhe nicht. Wir hatten heute schon ein Skelett gesehen, dass eines Walrosses mitten im Land. Es war vielleicht krank und dann hatten es Eisbären bis hierher gezerrt. Wie soll es sonst hierher gelangt sein? Es war bestimmt schon mehr als ein Jahr alt, aber man sah noch Haut und Fleischreste.

Zurück auf dem Schiff erzählen Kathrin ganz aufgeregt und Sabine etwas ruhiger von ihren Erlebnissen mit den Belugas. Aber, vielleicht können die beiden das ja mal selber erzählen. Da unten gibt es ja so ein Kommentarfeld.

Es folgt eine Nacht mit Motor und ohne Land zu sehen, auch wenn das Land nicht weit weg ist. Eine Nacht im Regen.

Im Eis der Gletscher

Gegen viertel vor Vier kommen wir zum Liliehööckbreen. Die Bucht ist voller kleiner Eisberge und Eisschollen. Wieder ist es leicht diesig, als ob das Eis den Nebel anlockt. Wir lassen die Schollen vorbeiziehen.

Zusammen mit einer schwimmenden Bartrobbe.

Joachim kommt auf Deck und fragt, wer Lust auf eine Dingy-Tour hat. Natürlich wollen alle mit. Ich bin mit Barbara, Sabine, Yolanda und Thomas auf dem Boot. Dirk steuert. Leider sehen wir keine Robbe aus der Nähe, genießen aber die Fahrt zwischen dem Eis.

Und zum Schluss einen Blick auf die Gallionsfigur der Antigua.

Es gibt schon verrückte Leute (zumindest ein bisschen, oder, Gustel). Gustel ist wild entschlossen, noch einmal schwimmen zu gehen. Die Rettungsring wird ausgelegt und er muss warten, bis der Kapitän zurück ist. Und schwimmt tatsächlich in aller Ruhe eine kleine Runde. Und bekommt Gesellschaft von Yolanda und dann von Thomas (das mit der Gesellschaft stimmt nur im übertragenen Sinn, denn jeder schwimmt für sich alleine). Und Lore. Und dann als Überraschungsgast noch Juan.

Das letzte Dingy draußen, mit Elfi drauf, hat da echt was verpasst.

Abends nach dem Abendessen fahren wir dicht an einem Vogelfelsen vorbei, auf dem Dickschnabellummen und Dreizehenmöwen nisten. Die Vögel sind nur als Punkte auf den Felsen zu erkennen. Die Belichtungsverhältnisse sind schwierig.