Smeerenburg

Gegen halb Sechs erreichen wir Amsterdamoya und der nächste Landgang steht an. Jan klassifiziert die Tour als schwer – was immer das heißt. Es geht fünf Meter über rund geschliffene Kiesel bis ans obere Ufer. Der Grund ist dort oben gemischt felsig, Steinplatten und Stein, dazwischen immer wieder Moos und feuchter Boden. Ich muss auf meine Füße schauen, aber eigentlich komme ich ganz gut vorwärts.

Nach zehn Minuten sind wir an unserem ersten Halt angekommen: Smeerenburg war eine holländische Walfangstation. Hier wurden die Wale – wohl Grönlandwale – an Land gezogen, zerkleinert und zu Lampenfett verarbeitet. Die Geschichte die von tausenden Bewohnern erzählen mag ich nicht glauben. Alles was man noch sieht sind die Ringe von drei Tranöfen und an einer Stelle Backsteine, die aus dem Boden ragen.  Auf jeden Fall war der Boom schnell vorbei. Das Meer, dass von Walen nur so gewimmelt haben muss, war leer und die Walfänger mußten wieder abziehen. Basken, Holländer, Deutsche, ganz Europa hatte gemeinschaftlich für die Ausrottung gesorgt. Grönlandwale gelten heute um Spitzbergen als ausgestorben – auch wenn Rolf auf seiner Tour dieses Jahr einen gesehen hat.

Reste eines Tranofens in Smeerenburg
Reste eines Tranofens in Smeerenburg

Der weitere Weg soll anstrengender werden. Jan fragt, wer abgeholt werden möchte und Kathrin nimmt das Angebot an. Sie wird von Jan am Arm über die Kiesel geführt und ins Boot bugsiert. Manchmal ist er ein bisschen zu zuvorkommend.  Ich selbst beschließe, es zu probieren und bereue es nicht. Die Strecke ist bis auf wenige Meter einfacher als der Anfang bis Smeerenburg, großenteils mehr Moos als Steine. Einmal müssen wir einen kleinen Bach queren.

Unser nächstes Ziel ist das Grab der sieben Holländer, die vor vielen Jahren aufgrund zu wenig Proviant bei ihrer zweiten Überwinterung hier verhungert sind. 1979 – so Kathrins Buch – lagen hier noch die Knochen offen. Jetzt ist dort ein hoher Steinhügel inmitten der Einsamkeit der Tundra, mit Blick aufs Meer. Steintafeln erzählen vom Respekt, den die holländische Königin dem Männern erwiesen hat.

Die zweite Überwinterung überlebten sie nicht mehr
Die zweite Überwinterung überlebten sie nicht mehr

Der weitere Weg führt uns quer über die Landzunge zurück zum Ausgangspunkt. Die Stiefel versinken bis über die Füße im Moos und Schlamm, wenn man an die falsche Stelle tritt. Eisbärentatzenspuren sind noch ein Jahr später gut zu erkennen.
Die Farben von Svalbard erschließen sich erst, wenn man an Land unterwegs ist. Rote Erde, gelbe winzige Blüten. Ganze Felder in gelb und hellem Grün Und das Grau der Steine. Am Strand das Treibholz, blank geschrubbt vom Meerwasser und hellbeige zwischen roten Steinen und weißen Kieseln. Dahinter das Meer, schwer und grau an diesem bedeckten Tag, in schönstem Himmelhellblau wenn die Sonne scheint.
Ich versuche mich in der Landschaftsfotografie – Vordergrund, Schärfe,  Führungslinien, Farbe. Insbesondere das Thema Schärfe ist nicht einfach, aber die Kameraautomatik hilft und ich nähere mich an. Das Licht ist heller als man meint, obwohl es bedeckt ist habe ich bei kleinster Blende und 200 ISO 1/250s Belichtungszeit.

Zurück an Bord haben alle Hunger und stellen sich gleich an. Lars kommt in den Salon und spricht aus, was ich denke: "Diese Schlange" (vor dem Buffet) "wird auch immer länger." Es gibt Pute mit Champignons zu Wildreis und danach rote Grütze mit Vanillesauce. Wenn das so weitergeht, werden sie uns von Bord rollen müssen.

An diesem Abend bringe ich Maren, Kathrin und Waltraud "6 nimmt" bei und wir spielen bis Mitternacht. Als ich mich umdrehe und nach Elfi schaue ist sie lange im Bett verschwunden. An ihrem Tisch wird weiter gepokert bis mindestens halb zwei.

Unterwegs

Die Sonne ist herausgekommen und bescheint die Eisschollen, die vom Gletscher herab fließen.

In der Bucht hier soll es Belugas geben. Aber sie sind während der Ankerwache nicht aufgetaucht. Es war ganz ruhig. Man konnte den Blick genießen und sich in aller Ruhe unterhalten, erzählt Ute mir.

Heute geht es Richtung Amsterdamoya, Smeerenburg. Wir werden erst heute Abend wieder halten. Zeit also, die Mitreisenden ein bisschen näher kennen zu lernen.

Mit Anneliese unterhalte ich mich über Gartenpflanzen. Sie hat einen Staudengarten. Sie stellt sich vor, wenn dort – wie hier in Spitzbergen – eine Horde Touristen durch die Vegetation trampeln würde. "Und Blumen pflücken." meine ich dazu. Gerade bei unseren ersten Trip ging es über das Moos. Das war griffiger als das umliegende Geröll. Maren meinte gestern, auf Island sei es streng verboten auf die Vegetation zu treten.

Yolanda häkelt Pferdemützen. Pferde – genauer Gespannfahren – sind ihre große Leidenschaft und so muss die gleiche Mütze für jedes der Pferde im Gespann her. Thomas und sie haben gemeinsam eine Homepage für den Reiterhof gestaltet, auf dem sie eine Reitbeteiligung haben. Yolanda erzählt von den Kindern, die an den Pferden wachsen und Selbstbewusstsein gewinnen.
Thomas und Yolandas gemeinsame Leidenschaft ist das Fotografieren. Da habe ich mit den Beiden ebenfalls etwas gemeinsam. Allerdings fotografieren sie noch analog.

Gustel , Christa und Steffi sind eine der beiden Familien, die mitfahren. Steffi hat gerade das Abi hinter sich und wartet / hofft nun auf einen Studienplatz für Biologie in München. Und Gustel hat meine Kameratasche in klein.

Mittags gibt es Gulaschsuppe. Und dazu Hackfleischbällchen mariniert in dieser süßsauren Soße, die es sonst zu Frühlingsröllchen gibt. Lecker!

Zwischendurch zieht es mich jetzt aufs obere hintere Deck. Hinter der Brücke sitzt man windgeschützt in der Sonne, wenn man – wie wir jetzt – Richtung Norden fährt.
Die Landschaft von See aus ähnelt sich km auf km. Berge, dazwischen Gletscher. Gestern, in Ny Alesund hatten wir den ersten blauen Gletscher gesehen. Blau sind dann die Abbruchkanten – hellblau genauer gesagt. Aber nicht jeder Gletscher hat eine Abbruchkante, manche fließen sozusagen gleichmäßig nach unten. Und andere enden, bevor sie das Meer erreichen.

Immer wieder fliegen Möwen ganz nah und langsam am Schiff vorbei.

Ich werde schläfrig, aber nach einiger Zeit wird es kühl und ich gehe wieder hinunter in den Salon. Am meinem Tisch geht es mittlerweile um Sabbaticals. Und um die Reisen, die die Leute schon so gemacht haben.

Irgendwann zwischendurch muss Leonie an die Vorräte. Da öffnet sich ein rundes Loch im Boden neben einem der Tische und sie zwängt sich hindurch, hinunter in den Schiffsbauch. Dort unten lagert Toilettenpapier und Brot und alles mögliche andere. Wer größer ist als ein Meter achtzig kann dort unten nicht mehr gerade stehen. Unter den Bänken im Salon sind Popcorn und Erdnüsse und Zucker und Mehl. Die Bierfässer lagern unter dem Gang zwischen den Kabinen. Selbst die Brücke muss herhalten: als Treibhaus für die Kräuter. Jeder Kubikzentimeter, der nicht für die Passagiere direkt benötigt wird, wird irgendwie genutzt.