Nachtrag

Von der Skansbukta aus kehrten wir zurück zum Ausgangsort der Reise, Longyearbyen. Die Antigua legte am Kohlehafen unterhalb eines Krans an und das sah fast aus, als wenn sie abgewrackt würde. Dabei hat sie das echt nicht verdient.

Elfi und ich liefen gemeinsam bis zum Passagier- und Frachthafen, dort steht auch das berümteste Schild der ganzen Insel, ohne das wohl eine Spitzbergen-Reise nicht vollständig wäre (meinen manchen zumindest). Daher hier pflichtschuldig ein Bild davon.

Als wir zurückkehrten fanden wir Besuch an Bord. Rolf Stange schaute sich die Antigua an. Wenn man nach unseren Mitreisenden geht wird er mittlerweile zu einer kleinen Berühmtheit. Ich glaube, die meisten hatten sein Buch gekauft und hätten am liebsten ihn mit an Bord gehabt auf der Reise. Kathrin und ich hatten auch erst überlegt bei ihm zu buchen, aber das passte leider zeitlich und preislich nicht.
Kathrin und ich kennen Rolf schon von unserer Antarktis-Reise. Klar, dass wir ihm guten Tag sagten. Er hat immer noch das gleiche Lächeln, bei dem man sich sofort willkommen fühlt, wie im Dezember 2005. Und das wäre für mich ein genauso wichtiger Grund mit ihm zu fahren wie seine Kenntnisse in diesen kalten Gegenden. Vielleicht klappt es ja irgendwann einmal wieder.
2010 findet man ihn übrigens auch auf der Antigua.

Wenn ihr mich fragt, wie mir diese Reise gefallen hat, so muss ich sagen, eigentlich ziemlich gut. Nun, es gab die einen oder anderen Probleme in der Gruppe und auch mit den Guides. Und auch die beiden ziemlich abenteuerlichen Situationen – zum einen das Festsitzen im Eis. Und dann die Strandung und Kenterung im Raudfjord. Auch wenn Joachim das am Lagerfeuer anders erzählt hat, für mein persönliches Gefühl war die Strandung nicht gerade ohne. Dieses Gefühl habe ich im Nachhinein fast noch mehr als währenddessen. Warum, nun lest selber und bildet Euch ein Urteil. Und ich möchte so etwas auch nicht noch einmal erleben. Aber auch in den brenzligen Situationen, habe ich nie diese tiefe Verunsicherung gespürt, die ich doch schon ein zweimal vorher im Leben hatte. Irgendwie wusste ich, das wird gut gehen.
Diese Reise war ein einmaliges Erlebnis und wäre es auch ohne diese Abenteuer gewesen. Das Unterwegs sein auf einem Segelschiff, eine kleine persönliche Gruppe. Die See. Das Eis. Und vor allem die Landschaft Spitzbergens, mit Betonung auf "Land", denn wenn man nicht an Land geht, hat man diese Inseln nicht erlebt, soviel steht für mich fest. Und lasst Euch eins gesagt sein: Es ist egal, ob ihr die Umrundung schafft oder nicht, ob die Sonne scheint oder wie bei uns der Nebel vorherrscht. Es gibt immer genug zu erleben.

Würde ich noch einmal mit der Antigua nach Spitzbergen fahren? Sie und ihre Besatzung hat sich jetzt die arktischen Hörner abgestoßen. Es ist ein Schiff auf dem man sich wohl fühlen kann. Die Antwort ist für mich ein eindeutiges Ja.

Liebe Mitreisenden, was meint ihr dazu?

Aufgesetzt

Gegen drei kommen wir am Raudfjordgletscher an und Joachim beginnt, wie am Monacobreen, die Gletscherwand entlang zu fahren. "Falls da eine größere Welle kommt, lasst die Tür zum Salon bloß zu. Lauft besser aufs Oberdeck, das reicht." ruft er von oben. Wir fahren im Nebel die Wand entlang. Eine gespenstische Stimmung und Stille. Der Fotoapparat zeigt kaum Kontraste auf dem Bildschirm. Ich höre noch nicht einmal Vögel. Nur Elfi meint später, sie hätte Glocken gehört.

Dann hören wir auf einmal doch etwas. Fast haben wir den Gletscher abgefahren, da knirscht es laut vernehmlich unter dem Bug. Yolanda erzählt später, sie hätte Joachim noch kurz fluchen gehört "Funktioniert dieser blöde Tiefenmesser mal wieder nicht". Und schon sitzen wir fest. Der Motor röhrt, das Schiff bewegt sich keinen Meter. Sch… Was nun?

Joachim kommt heraus und nun müssen wir Passagiere heran. Wir werden von einer Seite des Schiffs zur anderen geschickt und merken, wie das Schiff sich durch unser gesammeltes Gewicht bewegt. Ziel ist es, das Schiff frei zu schaukeln. Dann müssen wir nach vorne und die Gelenkigen setzen sich vorn auf den Klüverbaum. und ins Netz. Wieder röhrt der Motor.

Alles hilft nichts. Wir sitzen fest.

Irgendwie müssen wir das Schiff dazu kriegen, höher im Wasser zu liegen. Also werden als nächstes die Bierfässer unter den Dielen im Kabinenflur hervorgeholt. 22 Stück stehen kurz darauf einsam am Strand.
Es reicht nicht.

Als letztes werden wir Passagiere von Bord geschickt.

Die meisten haben trotz Gelächter ernste Gesichter. Was nimmt man mit? Wie lange wird es dauern? Müssen wir abgeholt werden? Immerhin liegen andere Schiffe in der Nähe. Was zieht man an. Ich nehme meine dickste Hose, ziehe die Regenhose noch über, einen extra Pulli. Über den Flur höre ich "Also, Kreditkarte und Ausweis sollte man immer dabei haben". Gute Idee. Und packe beide in die Innentasche meiner Jacke. Die Rettungsdecke lagert dort schon seit Beginn der Reise, als wir sie bekommen haben.

Wir setzen zum Geröll unterhalb der Gletscherzunge über ,auf dem schon die Bierfässer stehen. Man muss aufpassen, wo man hin tritt, denn die kleineren Steine fangen an, sich zu bewegen. Zwei Stiefel versinken bis über die Knöchel im Match. Besser nicht bewegen. Ich suche mir einen großen Felsbrocken zum hinsetzen.

Jan und Jelle nehmen die meisten mit auf Wanderung, aber ich habe keine Lust über Steinbrocken zu klettern und auch viel zu viel an und Kathrin sowieso nicht. Auch Waltraud mit ihren viel zu großen zwei rechten Stiefeln und Maren setzen ebenfalls wieder zum Schiff über. Barbara war schon zuvor zurückgeholt worden.

Das Wetter klart auf.

Wir beobachten atemlos das Geschehen an Bord. Joachim kommt im Taucheranzug aus der Kabine. Trisch hängt ihm die Flasche um. Mir graust beim Gedanken an dieses im Sinne des Wortes eiskalte Wasser.
Er steigt hinab, gefolgt von einem Stein und einer orangefarbenen Boje.

Nach fünf Minuten kommt er wieder hoch, mit kältestarrem Gesicht. Das Gesicht fragt Trisch, nein, die Finger, meint er und sie wärmt sie mit Händen und Handtuch bis er aus den Sachen raus kann und sich unter der warmen Dusche – das Wasser funktioniert noch – wärmt.

Im Niedrigwasser hat sich die Antigua geneigt, liegt in einem Zwanzig-Grad Winkel glatt auf dem Kiesbett auf. Auf der Strecke die Joachim in den fünf Minuten geschafft hat, waren keine Schäden zu erkennen. Ein beruhigendes Gefühl.

Jetzt hilf nur noch warten auf die Flut.

Wir gehen in den Salon während das Schiff sich weiter neigt. Kati mein, das wäre wie segeln unter Segeln, nur ruhiger. Dirk meint, so eine Schräglage hätte er er noch nicht erlebt. Sabine meint nur entsetzt "Das Schiff liegt schräg, dann liegt ja auch das Klo schräg." .. Immerhin funktioniert es noch.
Nicht nur das Klo ist schräg, die Kojen auch. In Fall von Kathrin und mir würde das bedeuten, an die Wand zu rollen. Aber mich überkommt eher die Gedanken an eine bedrückende Enge. Nein, schlafen will ich jetzt nicht, da unten. Irgendwann fange ich dann an, meine Bilder weiter zu bearbeiten.

Nach drei Stunden werden die Anderen wieder aufs Schiff geholt. Getränke gehen jetzt aufs Haus. Die Küche funktioniert auch noch, der Hunger ist keinem vergangen.

Draußen schwimmt eine Eisscholle vorbei, die aussieht wie Neptun, der sich gerade schräg lacht.

Hinlopenstraße

Kurz vor drei stehe ich mit Johannes draußen unterm Dach und wir reden über Wale. Er hat selbst noch nie welche gesehen. Ich erzähle von meinem Traum, dass Aquarium in Okinawa zu besuchen – mein einziger Grund, nach Japan zu fahren (ich weiß, ich sollte gegen meine Vorurteile ‚mal etwas tun. Tipps dazu gerne im Kommentar). Im Aquarium haben sie Walhaie. Das muss man sich mal vorstellen!
In genau diesem Moment sehe ich einen runden Rücken und eine Finne, vielleicht dreihundert Meter entfernt. Der erste Wal der Reise. Ein Zwergwal (meint Jan später). Karin und Stefan erzählen, sie haben den Wal auch gesehen. 
Im Laufe der nächsten halben Stunde sehe ich noch drei mal Walrücken in der Ferne. Jelle auch. Die meisten Anderen gehen schnell wieder hinein. Ich brauche diesmal ein bisschen länger, bis es mich wieder in die Wärme des Salons zieht.

Gegen halb Vier hört man es draußen knirschen. Das Schiff durchfährt mit halber Kraft ein Treibeisfeld. Zeit sich warm anzuziehen, die Mütze aufzusetzen und aufs Eis zu freuen.

Mir wird in diesen Stunden klar: dass ist der Grund warum ich in diese kalten Gegenden fahre – das Eis. Auch wenn – nicht wie in der Antarktis – die Sonne scheint. Es ist neblig. Das Packeis häuft sich auf. Das Wasser ist spiegelglatt. Wären wir nicht alle so aufgeregt, man könnte die Stille mit Händen greifen – wenn das Eis nicht gerade kracht. Rundherum, links bis zum Gletscher, rechts bis zum Horizont Eis, nur durchbrochen von schmalen Kanälen. Darüber ziehen Vögel: Dickschnabellummen, um diesen langen Namen müssen wir irgendwie unsere Zungen herum bekommen (der englische Begriff Alk ist so viel kürzer). Irgendwo hinter dem Nebel gibt es hier einen Vogelfelsen, den sie anfliegen, mit kleinen Fischen im Schnabel.

Jan und Jelle pressen die Ferngläser vor die Augen auf der Suche nach dem worauf wir alle warten – den König der Arktis, nach Eisbären. Und wir haben Glück. Schon nach zehn Minuten kommt Jan vom Vorderdeck und ruft "Bären".
Bis ich den kleinen Fleck in den Eismassen finde, vergehen bestimmt weitere zehn Minuten. Svenja manövriert hin und her. Kaum Zeit ein Stück Apfelkuchen mit Sahne zu verdrücken.
Der Bär ist immer noch weit weg, aber jetzt mit bloßem Auge zu erkennen. Er liegt auf dem Eis. Dann steht er auf und fängt an zu wandern.

Die Robbe, die alleine an einem Eisloch sitzt, sieht ihn schon von weitem und verschwindet. So richtig Hunger scheint er nicht zu haben. Und meine blutrünstigen Mitfahrer ;-) müssen auf ein abgezogenes Robbenfell oder den Blutfleck auf der Scholle verzichten.

Kurz darauf ist die Scholle vor uns dafür rostig rot. Uns war schon länger klar, dass wir die Hinlopenstraße nicht schaffen würden: zuviel Eis vor uns. Aber während wir dem Bären zuschauten, hat sich auch von hinten dichteres Eis an geschlichen, breit und zu dicht für unser nicht eisfestes Schiff. Die Antigua stößt und versucht ihr Bestes, aber sie schafft es nicht.

Ankerwache

Ich hatte mich gestern Abend für die Ankerwache gemeldet und Kathrin mitgezogen. Daher klingelt der Wecker heute schon um zwanzig vor Vier. Wir werfen uns in unsere Jacken und sind schon fast fertig als Barbara, die Mutter von Lars, zum Wecken kommt.

Lars erklärt die GPS-Karte auf dem Brücken-Laptop. Bisher war noch nicht viel los. Nur sehr schönes Licht zwischen Eins und Drei.
Ich setze mich mit Blick aufs GPS und wir beobachten, wie das Schiff im Halbkreis Zickzack im Sorgfjord fährt. Wir sollen zum Beispiel darauf achten, ob es größere Kursabweichungen gibt. In der vorletzten Nacht hatte sich das Schiff beispielsweise einmal vom Anker losgerissen. Bevor das die Drei auf der Ankerwache bemerkten, war der Kapitän aber schon oben. Joachim schläft nämlich direkt neben der Ankerkette und bekommt daher größere Bewegungen gleich zu hören.
Die Gefahr, daß sich ein Gletscher kalbt oder ein Eisberg dem Schiff zu nahe kommt besteht hier im Sorgfjord nicht so sehr. So können wir einfach die Ruhe genießen.

Kathrin und ich unterhalten uns über Fotokurse und über ihre Suche nach einer Psychologie-Praxis, in der sie sich einkaufen kann, und wir nutzen beide die Gelegenheit, in Ruhe die Brücke zu fotografieren.

Draußen kreist ein Möwenschwarm um einen aufgehäuften Steinhaufen auf der Spitze eines Hügels, der den Fjord überblickt.

Um kurz vor Sieben gehe ich Lilian, Lore und Juan wecken und sie kommen zur Ablösung. Und lege mich bis halb Neun nochmal hin.

Unterwegs

Die Sonne ist herausgekommen und bescheint die Eisschollen, die vom Gletscher herab fließen.

In der Bucht hier soll es Belugas geben. Aber sie sind während der Ankerwache nicht aufgetaucht. Es war ganz ruhig. Man konnte den Blick genießen und sich in aller Ruhe unterhalten, erzählt Ute mir.

Heute geht es Richtung Amsterdamoya, Smeerenburg. Wir werden erst heute Abend wieder halten. Zeit also, die Mitreisenden ein bisschen näher kennen zu lernen.

Mit Anneliese unterhalte ich mich über Gartenpflanzen. Sie hat einen Staudengarten. Sie stellt sich vor, wenn dort – wie hier in Spitzbergen – eine Horde Touristen durch die Vegetation trampeln würde. "Und Blumen pflücken." meine ich dazu. Gerade bei unseren ersten Trip ging es über das Moos. Das war griffiger als das umliegende Geröll. Maren meinte gestern, auf Island sei es streng verboten auf die Vegetation zu treten.

Yolanda häkelt Pferdemützen. Pferde – genauer Gespannfahren – sind ihre große Leidenschaft und so muss die gleiche Mütze für jedes der Pferde im Gespann her. Thomas und sie haben gemeinsam eine Homepage für den Reiterhof gestaltet, auf dem sie eine Reitbeteiligung haben. Yolanda erzählt von den Kindern, die an den Pferden wachsen und Selbstbewusstsein gewinnen.
Thomas und Yolandas gemeinsame Leidenschaft ist das Fotografieren. Da habe ich mit den Beiden ebenfalls etwas gemeinsam. Allerdings fotografieren sie noch analog.

Gustel , Christa und Steffi sind eine der beiden Familien, die mitfahren. Steffi hat gerade das Abi hinter sich und wartet / hofft nun auf einen Studienplatz für Biologie in München. Und Gustel hat meine Kameratasche in klein.

Mittags gibt es Gulaschsuppe. Und dazu Hackfleischbällchen mariniert in dieser süßsauren Soße, die es sonst zu Frühlingsröllchen gibt. Lecker!

Zwischendurch zieht es mich jetzt aufs obere hintere Deck. Hinter der Brücke sitzt man windgeschützt in der Sonne, wenn man – wie wir jetzt – Richtung Norden fährt.
Die Landschaft von See aus ähnelt sich km auf km. Berge, dazwischen Gletscher. Gestern, in Ny Alesund hatten wir den ersten blauen Gletscher gesehen. Blau sind dann die Abbruchkanten – hellblau genauer gesagt. Aber nicht jeder Gletscher hat eine Abbruchkante, manche fließen sozusagen gleichmäßig nach unten. Und andere enden, bevor sie das Meer erreichen.

Immer wieder fliegen Möwen ganz nah und langsam am Schiff vorbei.

Ich werde schläfrig, aber nach einiger Zeit wird es kühl und ich gehe wieder hinunter in den Salon. Am meinem Tisch geht es mittlerweile um Sabbaticals. Und um die Reisen, die die Leute schon so gemacht haben.

Irgendwann zwischendurch muss Leonie an die Vorräte. Da öffnet sich ein rundes Loch im Boden neben einem der Tische und sie zwängt sich hindurch, hinunter in den Schiffsbauch. Dort unten lagert Toilettenpapier und Brot und alles mögliche andere. Wer größer ist als ein Meter achtzig kann dort unten nicht mehr gerade stehen. Unter den Bänken im Salon sind Popcorn und Erdnüsse und Zucker und Mehl. Die Bierfässer lagern unter dem Gang zwischen den Kabinen. Selbst die Brücke muss herhalten: als Treibhaus für die Kräuter. Jeder Kubikzentimeter, der nicht für die Passagiere direkt benötigt wird, wird irgendwie genutzt.