„Der Tag der tausend Photos“ oder „Nicht der Hornsund“

Der Hornsund, das ist ein Fjord am südlichen Ende von Spitzbergen, auf der anderen Inselseite, von uns aus gesehen. Er wird immer wieder als einer der schönsten Fjorden Svalbards gepriesen. In einer Ecke unseres Schiffes wird immer wieder gedrängt: Wir wollen den Hornsund sehen. Ich hatte das ja auch erst überlegt, mich aber schon länger davon verabschiedet, da ich mitbekommen hatte, dass dies bedeuten würde, fast nur noch auf See zu sein. Und ich finde das Land hier doch noch faszinierender als die See.

An diesem Morgen kommt der Kapitän nach dem Frühstück und bittet uns um eine Entscheidung. "Wer von Euch will alles umbedingt" (Betonung auf umbedingt) "zum Hornsund". Aus der bewussten Ecke kommt ein "Na, alle". Joachim meint nur lakonisch: Alle die hier "alle" gesagt haben wollen zum Hornsund. Das wären dann 6 von 32 Personen." Anscheinend wird denjenigen welchen erst jetzt bewusst, dass gar nicht so viele an den Hornsund wollen. Als weiter diskutiert wird, wird Joachim etwas ungehalten: "Der Hornsund, das bedeutet, den Rest der Zeit auf See zu verbringen. Mit geringer Wahrscheinlichkeit, den Sund ohne Nebel zu erleben. Wollt ihr das wirklich?" Dann ist die Diskussion, zumindest bis zum Ende der Reise, beendet.

Wir verlassen den Bockfjord und fahren zum Ausgang des Woodfjords. Genauer wollen wir das.

Tja, dann kommt der erste Zwergwal.

An etwa an derselben Stelle wie zuvor. Beobachtet man die Möwen muss es hier sehr fischreich sein. Sie stoßen immer wieder ins Wasser.

Und dann die Zwergwale.

Und ziemlich genau um viertel vor Vier stehe ich ganz hinten hinter den Seilen am Schiffsende und schaue in eine andere Richtung als alle anderen. Da, wieder eine Finne, die sechste heute. Ich schalte auf Serie und lasse laufen und denke – oh, dass dauert aber lange … das ist kein Zwergwal. Ich stehe mit offenem Mund und blättere schnell noch mal durch meine Bilder.

1,2,3,4,5 Sekunden. Und die Finne so weit hinten. Und schreie "Finnwal!". Laufe zu Jelle, der an der Bordseite steht. Er ist sich nicht absolut sicher, meint ich solle runter zu Jan, aber ich starre nur auf die Stelle, wo der Wal verschwunden ist in der Angst etwas zu verpassen. Aber es tut sich nichts mehr. Er ist wohl weg :-( So gehe ich runter und lasse mir von Jan bestätigen, dass ich tatsächlich und als Einzigste den ersten Finnwal dieser Reise gesehen habe :-)

Wir stehen und schauen. Immer wieder macht der Kapitän den Motor an und will weiter und es kommt die nächste Finne. Und wieder Motor aus. Und nur wenige hält es dann noch auf den Bänken im Salon.

Von halb Vier bis Neun Uhr Abends sehen wir immer wieder welche. Das ist das schöne an der Reise und der ausgefallenen Hinlopenstraße: Wir haben Zeit. Jede Menge davon. Und so stehen wir und schauen, trinken Kaffee und schauen weiter und genießen dieses Schauspiel.

Um fünf gehe ich rein überspiele eine Speicherchip und scanne die Ergebnisse als einer meiner Mitreisenden in den Salon gelaufen kommt, laut rufend: "Jan, komm raus!". Ich hinterher. Und ich sehe den Finnwal in vielleicht dreißig Metern Entfernung gerade noch abtauchen.

Jetzt wird es richtig spannend. Der Finnwal verschwindet nämlich nicht – wie mein persönlicher Erstling – sondert taucht nach ca. 5 Minuten wieder auf. Und erscheint drei Mal und öfter an der Oberfläche, ehe er mit rundem Rücken wieder abtaucht.

Mein Autofokus spinnt immer wieder. Im Nebel kann er die Wale nicht richtig fokussieren, springt hin und her.

Wie hatten bestimmt vier oder fünf Sichtungen. leider kann man es nur an bestimmten Stellen oder der ganzen Tauchsequenz erkennen, ob Zwerg- oder Finnwal, so bin ich bei den meisten Bildern unsicher. Einmal schwammen vier Wale oben, kreuzten ihren Weg, jeweils zwei und zwei. Wohl zwei Fin- und zwei Zwergwale.

Erst um viertel nach Sechs kommen wir zur Ruhe und die Wale auch. Wir steuern den Ankerplatz an.

Um zehn nach Neun dann wieder ein Ruf, aber diesmal "Robben!". Jelle Adlerauge hat sie ‚mal wieder zuerst gesehen. Da mögen ja noch irgendwelche Walrücken sein, aber von nun an sind Zwergwale out. Und eine ganze Herde jagender Sattelrobben rückt ganz noch oben auf der In-Liste. Sie bilden eine lange Reihe quer durch den Fjord, fast als würden sie ein Netz hinter sich herziehen und dann tauchen sie ab. Die Gewässer sind wirklich sehr fischreich. Da, eine zweite Herde!

Sie bleiben lange unter Wasser. Jan erzählt, dass es diese Robben sind, die in Kanada wegen ihres Fells erschlagen werden. Beim dritten Mal auftauchen haben wir die Herde direkt vorm Bug, sehen, wie sie springen, sich unter Wasser überholen und auf dem Rücken liegend Geschwindigkeit bekommen. Bis sie wieder verschwinden.

Und ein Pärchen Papageitaucher im Blickfeld zurücklassen, die schließlich einem Schwarm fischender Eismöwen hinterher fliegen.

Um elf denke ich langsam nach diesem ereignisreichen Tag ans schlafen gehen, als nochmal ein Ruf ertönt (der Motor ist aus, daran können wir es nicht mehr merken). Und diesmal heißt es "Eisbär". Alles rennt raus. ich schnappe mir beim Rausrennen noch meine Jacke, gegen die Abendkälte in der Mitternachtssonne.

Draußen fragen wir uns erst mal ,wie Jelle dieser Suppe einen Eisbären hat sehen können und scannen das Ufer. Da, eine Bewegung. Ein riesiges Tier, wohl ein Männchen. Das Boot nähert sich am Anker dem Ufer und der Nebel wird durchsichtiger. Der Bär trottet vor sich hin. Jelle bittet um Ruhe, denn das Tier ist in Hörweite. Aber es lässt sich nicht stören. Erst gegen halb Zwölf verschwindet es aus unserem Blick.

Was für ein Tag.

Soll es da am Hornsund wirklich noch mehr zu erleben geben? Ich kann es mir kaum vorstellen.

Longyearbyen

Morgens, in der Hotellobby in Oslo, sehen wir zum ersten Mal unsere Reisegruppe. Ich bin positiv überrascht über den Altersdurchschnitt, der in etwa in meinem Alter, vielleicht sogar darunter liegt. Auf dem Weg durch den Check In bis zum Flugzeug verläuft sich die Gruppe aber erst einmal wieder.

Spitzbergen wird zwar von Norwegen verwaltet, liegt aber wesentlich weiter von Oslo entfernt als Frankfurt. Erst nach knapp vier Stunden Flug taucht das Flugzeug durch die Wolkendecke und wir sehen zum ersten Mal die Berge von Svalbard, schneebedeckt mit nur wenig strahlenförmigen schwarzen Streifen. In Küstennähe malen Flussläufe Fadenspiele in grellgrüne Deltas hinein.

Um zwei Uhr Mittags landen wir auf Svalbard – so der norwegische Name der Inselgruppe. Erst wenn man es genauer nimmt, landen wir auch auf Spitzbergen, denn das ist der Name der Hauptinsel.

Die Koffer umkreisen einen ausgestopften Eisbären, den wir natürlich pflichtschuldig fotografieren.

Draußen wartet der Bus, der uns zum Hafen bringt. Da liegt es vor uns, unser Schicksal für die nächsten zwei Wochen, ungefähr 50 m vom Ufer entfernt. Und wirkt winzig. Ob wir da wirklich alle drauf passen?
Bis wir uns das näher ansehen können, wird noch ein bisschen Zeit vergehen. Nur die Koffer setzen in einem Dingy (in der Antarktis hat man das Zodiac genannt) über.

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Uns bleiben jetzt geschlagene viereinhalb Stunden für die Inselhauptstadt Longyearbyen. Eine Hauptstadt in Dorfgrösse mit viele bunt angemalten Häuser, neben denen Schneescooter stehen. Schnee ist aber weit und breit nicht zu sehen, sieht man von den Berggipfeln ab. Und es ist kaum jemand auf der Straße. Sonntag nachmittag. Ob die gerade alle Kaffee trinken? Oder Tee?
Küstenseeschwalben kreisen laut schreiend über den Kiesfeldern am Straßenrand und greifen an, wenn man ihren Nestern zu nahe kommt. Auf den Wiesen zwischen den Häusern blühen weiße Wattebäusche – Wollgras genannt.

Nach einem ersten Rundgang durch die Stadt gehen wir zum Touristenzentrum: Postkarten kaufen, denn diese Gelegenheit werden wir danach höchstens noch in Ny Alesund, vielleicht noch, gegen Ende der Reise in Barentsburg, haben. Das Gebäude beherbergt auch das Svalbardmuseum mit einer wirklich sehenswerten Ausstellung über die Inselgruppe und ihre tierischen und menschlichen Bewohner. Gezeigt werden historische Artefakte und die heimische Tierwelt in Form von ausgestopften Exemplaren. Der Eisbär hat eine wirklich beachtliche Größe. Kathrin meint, es sei ein Weibchen. Ok, dann möchte ich definitiv keinem Männchen begegnen, denn die Männchen sind noch größer.

Wir trinken Kaffee an der Hauptstraße und laufen noch hoch zur ökumenischen Kirche.

Von hier oben wirkt die Antigua noch kleiner.