Ein „Ententeich“ in Reykjavik. Ein bisschen größer als der Ententeich in Bruchhausen, an dem ich als Kind gelegentlich gespielt habe. In der Mitte eine kleine Insel voller nistender – ja was wohl – Enten. Ein Seeschwalbe stößt keckernd und laut rufend immer wieder auf die Inselmitte. Vermutlich sitzt da jemand falsches auf Ihren Eiern.
Auf einmal spritzt vor mir das Wasser. Ein ganzer Schwarm Möwen stürzt sich ins Wasser. Eine Familie füttert, wirft Brot in weitem Bogen. Der ältestes der Jungs gibt damit an, den Möwen dass Brot hinzuhalten und ist fast betrunken vor Glück und Stolz, kichernd wenn es klappt, selbstbewusst aber schüchtern, wen er auf meine Kamera schaut. Keine Sorge, ich habe nur die Möwen und Hände fotografiert. Die Frauen halten die Hände ruhig und scheuen nicht zurück. Die Möwen flattern auf der Stelle in der Luft. Und erwischen das Brot im Flug.
Herrlich!
Ach ja, hier die Anleitung, wenn man Enten füttern will und nicht Möwen (entnommen einem Schild vor Ort):
1. Haben sie das Brot zur Hand
2. Stehen Sie am Wasserrand und warten Sie bis die Vögel sich um sie herum versammeln
3. Im rechten Moment hoch und runter springen und mit den Armen wedeln
4. Wenn die Möwen weggescheucht sind, die Gelegenheit nutzen und die Enten füttern
:-)
Der Gedanke an das Ende der Reise rückt immer näher. Morgen mittag werden wir in Longyearbyen sein. Heute komme wir wieder in die Nähe der Zivilisation. Ehemalige Zivilisation kann man auch sagen, denn Pyramiden ist eine seit 1998 im wesentlichen verlassen sowjetische Bergarbeiterstadt.
Thomas freut sich, auf Pyramiden hat er nicht zu offen gewagt. Ruinen und verlassen Städte haben fotografisch einen ganz besonderen Reiz.
Aus dem Nebel tauchen die ersten Gebäude auf. Langgezogene Lagerschuppen. Irreal nach all der Wildnis in der die größten Gebäude der letzten beiden Wochen Trapperhütten waren, in denen man gerade so stehen konnte. Nach kurze Zeit erkennen wir schon die Streben der Kräne.
Am Ufer erwartet uns unser russischer Guide. Mathematikstudent, der zwei Sommer a 5 Monaten hier verbringt um seine Kasse aufzufüllen. Er ist nicht alleine, noch drei weitere Guides leben mit ihm im Hotel und oberhalb eines Schuppens.
Im Sommer ist dies kein einsames Leben, da regelmäßig Touristengruppen den Ort besuchen. Pyramiden ist ein einer Entfernung, die für einen Tagesausflug von Longyearbyen ausreicht. Aber nicht nur Touristen sorgen für Arbeit. Pyramiden ist so einer Art Lager für Barentsburg geworden – dem anderen, noch aktiven, Bergbauort auf Spitzbergen. Alles was dort benötigt wird, wird zuerst in Pyramiden gesucht.
"Pyramiden". Witzig, Martina ist gerade in Ägypten unterwegs und nun kann ich ihr sagen, ich hätte auch Pyramiden gesehen. Der Ort hat seinen Namen übrigens vom Hausberg, der sich aber vor uns im Nebel versteckt (weswegen ich Pyramiden eigentlich auch wieder nicht gesehen habe)
Bis zum eigentlichen Ort laufen wir eine gute Viertelstunde, dann sieht man die ersten Wohnhäuser, langgezogene vierstöckige Gebäude mit gleichförmigen Fensterfronten, eine davon in Holz, die meisten in gelbem Backstein. Näher kommend sieht man , das dazwischen zweistöckige ebenfalls langgestreckte Holzhäuser liegen – der ursprüngliche Ortskern.
Unser Guide erzählt von den Namen der Häuser. Paris für die alleinstehenden Damen, London für die Herren und das Crazy House für die Familien. Crazy House, weil die Arbeiter dort vom Lärm der Kinder nicht zum Schlafen kamen. Der Ort hat auch einen Kindergarten und eine Grundschule für Kinder von sieben bis elf. Achtzig bis 100 Kinder haben hier in der aktiven Zeit gelebt. Waren die Kinder zu alt, mußten die Eltern die Siedlung verlassen und zurück in die russische Armut.
Das Leben in Russland dürfte damals nicht leicht gewesen sein. Nicht wenige gingen nach Spitzbergen. Trotz Kälte und Polarnacht und nebligen Sommern waren die Leute hier gut, fast luxuriös versorgt. Es gibt ein Schwimmbad mit einem eigenen Kinderbecken. (VIPS meint unser Guide. Kinder sind doch das wichtigste was wir haben. Very Important Persons. Recht hat er.) und ein Veranstaltungshaus mit Musikräumen und einer Ballsporthalle und einem Kino, dass abendlich um sieben einen Film zeigte.
Pyramiden war eine saubere Bergarbeiterstadt. Die Arbeiter zogen sich in der Mine um und gingen durch einen überdachten Gang zur Arbeit und nach Schichtende ging es wieder durch den Gang zurück, damit auch niemand außerhalb kohleverschmierte Gesichter und Kleidung zu sehen bekam.
Die Kantine war rund um die Uhr geöffnet – die Arbeiter waren in drei bis vier Schichten aufgeteilt – und das Essen muss gut gewesen sein. Jetzt rosten die Geräte der Grossküche vor sich hin. Die Farbe blättert von der Decke und bedeckt den Küchenboden. Nur der Salon wirkt noch repräsentativ, bewacht von Väterchen Frost auf einem Mosaik.
Kurz bevor der Ort Ende der Neunziger evakuiert wurde, wurde noch ein Hotel eröffnet, "Tulipa", der Guide lebt dort zur Zeit. Die Wände sind mit Holz verkleidet und der Souvenirshop hat dort seine Heimat. Die Souvenirs sind sehr russisch. Aber mich packt eher die Versuchung, mir einen Schokoladenriegel zu holen, die gibt es an Bord nämlich nicht. Ich spüre etwas Entzug.
Stattdessen gehe ich doch lieber raus, denn das Hotel hat noch mehr Bewohner. Die Möwen haben die Fensternischen als Nistplatz entdeckt und das Hotel in einen Vogelfelsen verwandelt. Und mittlerweile sind Küken da.
Bis wir los kommen ist es halb Zwölf. Aber wir haben heute doppelt Glück: als wir drei Stunden später am Monacogletscher im Liefdefjord ankommen, liegt kein anders Schiff vor Ort.
Der Gletscher kommt immer näher und es kühlt deutlich ab. Als ich vom Umziehen aus dem Schiffsbauch komme ragt eine Eiswand über uns auf, die das Schiff schrumpfen lässt. Man hört es knacken. Der Gletscher ist großenteils weiß bis (in den Löchern) tief blau. Aber an den Rändern ist er von schmutzig braunen Striemen durchzogen.
Vögel kreischen. Ein Schwarm Eismöwen fliegt vor einer Höhle immer wieder auf und ab. Habe ich da „ein Schwarm gesagt“, dass sind hunderte oder tausende von Vögeln. Wie ein Band ziehen sie sich weit in den Fjord hinein. Jelle erzählt, die Fische bekommen in Gletschernähe einen Osmoseschock und sind daher für die Eismöwen leicht zu fangen: sozusagen Buffet. Bei Rolf liest es sich etwas anders: Unterirdische Schmelzwasserströme bringen Nährstoffe und Plankton an die Oberfläche. Ich bin fasziniert. Mit so etwas habe ich nicht gerechnet. One of those moments in time. Zumindest für mich. Solch ein riesiger Schwarm.
Das Schiff zieht an den Möwen vorbei und gleitet weiter. Hinter der nächsten Ecke wartet ein noch viel größerer Schwarm auf uns .
Ich bin hin und weg und habe fast Tränen in den Augen. So etwas schönes.
Wir verabschieden uns vom Fjord mit einer Runde um den bisher einzigen großen Eisberg den wir auf dieser Reise gesehen haben. In Dunkelhimmelhellbau.
Und mit einem Blick in die großen freundlichen Augen einer Bartrobbe, die da mitten auf einer Eisscholle liegt, eingerollt in ihren Pelz wie eine Wurst.
Hinter uns, wir sind schon ein gutes Stück weg, bricht ein großes Stück vom Gletscher ab.
Die Sonne ist herausgekommen und bescheint die Eisschollen, die vom Gletscher herab fließen.
In der Bucht hier soll es Belugas geben. Aber sie sind während der Ankerwache nicht aufgetaucht. Es war ganz ruhig. Man konnte den Blick genießen und sich in aller Ruhe unterhalten, erzählt Ute mir.
Heute geht es Richtung Amsterdamoya, Smeerenburg. Wir werden erst heute Abend wieder halten. Zeit also, die Mitreisenden ein bisschen näher kennen zu lernen.
Mit Anneliese unterhalte ich mich über Gartenpflanzen. Sie hat einen Staudengarten. Sie stellt sich vor, wenn dort – wie hier in Spitzbergen – eine Horde Touristen durch die Vegetation trampeln würde. "Und Blumen pflücken." meine ich dazu. Gerade bei unseren ersten Trip ging es über das Moos. Das war griffiger als das umliegende Geröll. Maren meinte gestern, auf Island sei es streng verboten auf die Vegetation zu treten.
Yolanda häkelt Pferdemützen. Pferde – genauer Gespannfahren – sind ihre große Leidenschaft und so muss die gleiche Mütze für jedes der Pferde im Gespann her. Thomas und sie haben gemeinsam eine Homepage für den Reiterhof gestaltet, auf dem sie eine Reitbeteiligung haben. Yolanda erzählt von den Kindern, die an den Pferden wachsen und Selbstbewusstsein gewinnen. Thomas und Yolandas gemeinsame Leidenschaft ist das Fotografieren. Da habe ich mit den Beiden ebenfalls etwas gemeinsam. Allerdings fotografieren sie noch analog.
Gustel , Christa und Steffi sind eine der beiden Familien, die mitfahren. Steffi hat gerade das Abi hinter sich und wartet / hofft nun auf einen Studienplatz für Biologie in München. Und Gustel hat meine Kameratasche in klein.
Mittags gibt es Gulaschsuppe. Und dazu Hackfleischbällchen mariniert in dieser süßsauren Soße, die es sonst zu Frühlingsröllchen gibt. Lecker!
Zwischendurch zieht es mich jetzt aufs obere hintere Deck. Hinter der Brücke sitzt man windgeschützt in der Sonne, wenn man – wie wir jetzt – Richtung Norden fährt. Die Landschaft von See aus ähnelt sich km auf km. Berge, dazwischen Gletscher. Gestern, in Ny Alesund hatten wir den ersten blauen Gletscher gesehen. Blau sind dann die Abbruchkanten – hellblau genauer gesagt. Aber nicht jeder Gletscher hat eine Abbruchkante, manche fließen sozusagen gleichmäßig nach unten. Und andere enden, bevor sie das Meer erreichen.
Immer wieder fliegen Möwen ganz nah und langsam am Schiff vorbei.
Ich werde schläfrig, aber nach einiger Zeit wird es kühl und ich gehe wieder hinunter in den Salon. Am meinem Tisch geht es mittlerweile um Sabbaticals. Und um die Reisen, die die Leute schon so gemacht haben.
Irgendwann zwischendurch muss Leonie an die Vorräte. Da öffnet sich ein rundes Loch im Boden neben einem der Tische und sie zwängt sich hindurch, hinunter in den Schiffsbauch. Dort unten lagert Toilettenpapier und Brot und alles mögliche andere. Wer größer ist als ein Meter achtzig kann dort unten nicht mehr gerade stehen. Unter den Bänken im Salon sind Popcorn und Erdnüsse und Zucker und Mehl. Die Bierfässer lagern unter dem Gang zwischen den Kabinen. Selbst die Brücke muss herhalten: als Treibhaus für die Kräuter. Jeder Kubikzentimeter, der nicht für die Passagiere direkt benötigt wird, wird irgendwie genutzt.