Pyramiden im Norden

Der Gedanke an das Ende der Reise rückt immer näher. Morgen mittag werden wir in Longyearbyen sein.
Heute komme wir wieder in die Nähe der Zivilisation. Ehemalige Zivilisation kann man auch sagen, denn Pyramiden ist eine seit 1998 im wesentlichen verlassen sowjetische Bergarbeiterstadt.

Thomas freut sich, auf Pyramiden hat er nicht zu offen gewagt. Ruinen und verlassen Städte haben fotografisch einen ganz besonderen Reiz.

Aus dem Nebel tauchen die ersten Gebäude auf. Langgezogene Lagerschuppen. Irreal nach all der Wildnis in der die größten Gebäude der letzten beiden Wochen Trapperhütten waren, in denen man gerade so stehen konnte. Nach kurze Zeit erkennen wir schon die Streben der Kräne.

Am Ufer erwartet uns unser russischer Guide. Mathematikstudent, der zwei Sommer a 5 Monaten hier verbringt um seine Kasse aufzufüllen. Er ist nicht alleine, noch drei weitere Guides leben mit ihm im Hotel und oberhalb eines Schuppens.

Im Sommer ist dies kein einsames Leben, da regelmäßig Touristengruppen den Ort besuchen. Pyramiden ist ein einer Entfernung, die für einen Tagesausflug von Longyearbyen ausreicht. Aber nicht nur Touristen sorgen für Arbeit. Pyramiden ist so einer Art Lager für Barentsburg geworden – dem anderen, noch aktiven, Bergbauort auf Spitzbergen. Alles was dort benötigt wird, wird zuerst in Pyramiden gesucht.

"Pyramiden". Witzig, Martina ist gerade in Ägypten unterwegs und nun kann ich ihr sagen, ich hätte auch Pyramiden gesehen. Der Ort hat seinen Namen übrigens vom Hausberg, der sich aber vor uns im Nebel versteckt (weswegen ich Pyramiden eigentlich auch wieder nicht gesehen habe)

Bis zum eigentlichen Ort laufen wir eine gute Viertelstunde, dann sieht man die ersten Wohnhäuser, langgezogene vierstöckige Gebäude mit gleichförmigen Fensterfronten, eine davon in Holz, die meisten in gelbem Backstein. Näher kommend sieht man , das dazwischen zweistöckige ebenfalls langgestreckte Holzhäuser liegen – der ursprüngliche Ortskern.

Unser Guide erzählt von den Namen der Häuser. Paris für die alleinstehenden Damen, London für die Herren und das Crazy House für die Familien. Crazy House, weil die Arbeiter dort vom Lärm der Kinder nicht zum Schlafen kamen. Der Ort hat auch einen Kindergarten und eine Grundschule für Kinder von sieben bis elf. Achtzig bis 100 Kinder haben hier in der aktiven Zeit gelebt. Waren die Kinder zu alt, mußten die Eltern die Siedlung verlassen und zurück in die russische Armut.

Das Leben in Russland dürfte damals nicht leicht gewesen sein. Nicht wenige gingen nach Spitzbergen. Trotz Kälte und Polarnacht und nebligen Sommern waren die Leute hier gut, fast luxuriös versorgt. Es gibt ein Schwimmbad mit einem eigenen Kinderbecken. (VIPS meint unser Guide. Kinder sind doch das wichtigste was wir haben. Very Important Persons. Recht hat er.) und ein Veranstaltungshaus mit Musikräumen und einer Ballsporthalle und einem Kino, dass abendlich um sieben einen Film zeigte.

Pyramiden war eine saubere Bergarbeiterstadt. Die Arbeiter zogen sich in der Mine um und gingen durch einen überdachten Gang zur Arbeit und nach Schichtende ging es wieder durch den Gang zurück, damit auch niemand außerhalb kohleverschmierte Gesichter und Kleidung zu sehen bekam.

Die Kantine war rund um die Uhr geöffnet – die Arbeiter waren in drei bis vier Schichten aufgeteilt – und das Essen muss gut gewesen sein. Jetzt rosten die Geräte der Grossküche vor sich hin. Die Farbe blättert von der Decke und bedeckt den Küchenboden. Nur der Salon wirkt noch repräsentativ, bewacht von Väterchen Frost auf einem Mosaik.

Kurz bevor der Ort Ende der Neunziger evakuiert wurde, wurde noch ein Hotel eröffnet, "Tulipa", der Guide lebt dort zur Zeit. Die Wände sind mit Holz verkleidet und der Souvenirshop hat dort seine Heimat. Die Souvenirs sind sehr russisch. Aber mich packt eher die Versuchung, mir einen Schokoladenriegel zu holen,  die gibt es an Bord nämlich nicht. Ich spüre etwas Entzug.

Hotel, Ostblock
Hotel, Ostblock

Stattdessen gehe ich doch lieber raus, denn das Hotel hat noch mehr Bewohner. Die Möwen haben die Fensternischen als Nistplatz entdeckt und das Hotel in einen Vogelfelsen verwandelt. Und mittlerweile sind Küken da.

Butrint

Sarande ist eigentlich nur der Übernachtungsstopp. So fahren wir – vorbei an Muschelbänken und einem Flußdelta – zur eigentlichen Attraktion der Gegend – Butrint.

Am Bootssteg am Eingang lugt ein Krebs unter einem Stein hervor und im Dachfirst des Kassenhäuschen schreien Schwalbenküken mit weit geöffneten gelben Kehlen nach Futter. Am Eingang von Butrint liegt eine Allee von Eukalyptusbäumen, in denen es von Schwalbennestern nur so wimmelt, so dass man vor Zwitscherei kaum sein eigenes Wort versteht.

Butrint hat eine lange Geschichte. Entstanden im vierten Jahrhundert vor Christus als Asklepios-Heiligtum (das ist der Gott der Medizin – der mit der Schlange als Symbol) bestand die Stadt durch die Jahrhunderte und zeigt Ausgrabungen und Ruinen aus allen Epochen – griechisch, römisch, byzantinisch und venezianisch. Es gibt ein Amphitheater, Reste eines Tepidariums (eine römische Fußbodenheizung) und eine Zyklopenmauer, die zu griechischen Zeiten Stadtmauer war. Reste eines Aquäduktes und einer Kirche und noch vieles mehr. Butrint lässt sich angenehm im Schatten durchwandern, und in gut zwei Stunden sieht und lernt man viel. Was nicht zu sehen ist, ist leider das Mosaik rund um das Baptisterium – zum Schutz vor Besuchern und Luft mit Sand abgedeckt.

Wir sind in den zwei Stunden – abgesehen von ein paar Arbeitern – vollkommen alleine, erst als wir um halb eins das Gelände verlassen übertönt eine italienische Touristengruppe das Zwitschern der Schwalben.

Souvenierstände waren bisher vollkommen uninteressant, hier in Butrint aber verkaufen sie Trachten. So eine weiße bestickte Bluse hätte mir auch gefallen, sie passt sogar fast, nur um die Achseln herum ist sie leider viel zu eng.

Nachmittags baden wir in der Nähe von Butrint. Glasklares Wasser schlägt in leichten Wellen an den Sandstrand. Die meisten Liegestühle sind leer und wir genießen die Ruhe und schwimmen im Meer.

Ein Blautopf, eine Klosterruine und die Badestadt Sarande

Was ist bloß mit mir los. Schon wieder bin ich vor dem Wecker wach, eine geschlagene Stunde. Der Burgberg von Girokaster liegt noch im Schatten. Diese Nacht war erheblich ruhiger, als die Nacht davor, nur der Verkehrslärm drang durch die Einfachverglasung.

Unten auf dem Bürgersteig beobachte ich ein kleines Mädchen in rotem T-Shirt und Leggins, das auf einem Stück Pappe sitzt und das Betteln übt. Mal sitzt es pflichtbewusst im Schneidersitz, mal gelangweilt mit ausgestreckten Beinen. Dann ruft es ein Mann zu sich und es läuft auf bloßen Füßen, um ein paar Lek in Empfang zu nehmen. Ein anderer Mann wirft ihm Münzen in den Schoss, ohne es auch nur anzusehen. Meistens wird es aber ignoriert.

Der erste Halt auf dem Weg nach Sarande ist – an einem Müllberg. Die Leute werfen im allgemeinen an einem Hang, gut erreichbar, aber vom Dorf nicht direkt einsehbar, ihren Müll hinunter. Der aktuelle Müllberg wird überspannt von einer alten Brücke aus osmanischer Zeit und mit etwas Anstrengung kann man die Brücke auch ohne Müll fotografieren.

Auch in Albanien gibt es eine Art Blautopf, eine Quelle, die türkis leuchtet, genannt Syri Kalter.

Darüber schweben leuchtend blaue Libellen, und auch schwarze und braune. Und Schmetterlinge in weiß und orange. Ganz zu schweigen von den Kreuzspinnen, die ihre Netze spannen.

Der dritte Halt des Tages ist am Kloster Mesopotam, von dem nur die Kirche und ein paar Mauerreste noch stehen. Die Kirche selber ist innen weiß verputzt, auf dem Putz sitzen schwarz-weiße Messpunkte, die Renovierung steht kurz bevor. Eine Ahnung der Fresken bekommt man hinter der Ikonostase. Hier können wir wirklich hinter der Ikonostase herlaufen, die Kirche ist derzeit nicht in Benutzung. Die Ikonostase selber erinnert mich stark an eine durchbrochene Tür, die ich einmal in China gesehen habe, eine Schnitzerei mit vielen Tieren. Die Ikonen sind, man kann es nicht anders sagen, neu und kitschig katholisch und haben sich wohl irgendwie hierher verirrt.

Der Friedhof neben dem Kloster ist typisch albanisch. Sarkophage aus weißem Stein haben an der Kopfseite weiße Grabsteine mit Photos, auf denen rechts oben entweder ein Kreuz oder ein Halbmond oder auch gar nichts angebracht ist.
Muslime und Christen und Atheisten teilen sich den Friedhof.

Halbmond und Kreuz friedlich vereint im Tod (und im Leben)
Halbmond und Kreuz friedlich vereint im Tod (und im Leben)

An unserem letzten Zwischenstopp an diesem Tag sehen wir dann zum ersten Mal das ionische Meer, von einer Festungsmauer aus, die die Betonburgen von Sarande überblickt. Gegenüber – man könnte meinen, man könnte schwimmen – liegt Korfu.

Hier unten in Sarande ist es so richtig warm und schwül, mir schlägt die Luftveränderung etwas auf den Kreislauf. Da eh kein Programm mehr ansteht, legte ich mich erst einmal hin und schlafe bis halb sechs durch.

Dann spaziere ich die Promenade entlang bis fast zum Containerhafen, vorbei an den unzähligen Restaurants, der Bar mit dem Che Guevara Plakat und den badenden Albanern.

Unter den Bogengängen mit den Duschen wartet eine alte Frau mit Kopftuch und Pluderhosen. Gebeugt vom schmerzenden Rücken stützt sie sich auf einen Stock und wartete auf ihre Enkeltochter, ein vielleicht zehnjähriges pummeliges Mädchen, das in ein Handtuch gehüllt vom Strand kommt. Die beiden laufen gemeinsam weiter und teilen sich ein Eis.

Abwärts
Abwärts

Mit dem herannahenden Abend füllt sich die Promenade zunehmend, alle tragen ihre besten Kleider und ganze Familien machen einen Spaziergang. In den Restaurants sitzen die Männer und trinken ihren unausweichlichen Kaffee und schauen dem Treiben zu. Der Muezzin ist über die laute Popmusik hinweg kaum zu hören. Jutta und ich sitzen auf der Strandmauer und gucken Leute und spekulierten, ob der einzige Pakistani im Ort, der weiter im Zentrum mit seiner verschleierten Frau Sandalen verkauft, wohl gerade seinen Gebetsteppich ausrollt. Muslime hier in Albanien sind sehr liberal. Kopftuch tragen nur die Landfrauen und das auch nur aus den selben praktischen Gründen wie bei uns in Deutschland.