Auf den Straßen Gujarats

Unser erster halber Fahrtag. Die (gut geteerte) Straße zieht wie ein Bilderbogen an mir vorbei. Nein, Fotos mache ich kaum, durch Autofenster auf Passanten zielen liegt mir (ok meistens) nicht. Also nehmt Eure Fantasie bei der Hand, dreht die Sättigung hoch und die Lightroom-Besitzer die Vibrance und die übrigen Fotografen machen mal ein schönes S auf die Tonwertkurve, für den Farbkontrast. Das könnte ungefähr hinkommen mit dem was ich gesehen habe. Die Farben der Saris selbst der einfachen Frauen sind fantastisch und das Leben bunt.

An der Mautstation verkaufen Händler Wasserkastanien durch die Gitter der Busfenster. Die Mautgebühr wird Nepal von einem jungen Mann mit lila Hemd und Taschentuch in der Brusttasche abgenommen.
Auf der Autobahn kommt uns ein Motorradfahrer auf der falschen Seite entgegen (aber was ist die falsche Seite? Hier ist nämlich Linksverkehr :-))

Links und rechts der Straße sind Baumwollfelder und ich kann die ersten Püschel Wolle erkennen. Und weiß außerdem nun, warum Inder nie Magenprobleme haben können, denn so viel Rizinus wie hier wächst, das muss für alle Inder reichen, die es auf der Welt gibt.

Einsam auf der Straße läuft einen Frau im pinkfarbenen Sari mit einer Wasserkanne auf dem Kopf.
Ein Stückchen weiter kommen uns zwei Frauen in schwarzen bestickten Saris mit jeweils einem Stapel Tücher auf dem Kopf entgegen.
Das gelb eines Saris leuchtet auch unter einem Büschel Tierfutter hervor. Zwei Frauen in grüngelb ziehen eine Ziege hinter sich her.
Ob irgendjemand in Deutschland in der Lage wäre, diese riesigen Wanne mit Maiskolben so elegant auf dem Kopf zu balancieren?
Eine Frau in rot mit blauem Schal trägt einen riesigen Holzstapel, die Tochter hinter ihr übt noch, ihr Stapel ist mit dickem Tau umwickelt.
Selbst im Straßenbau hat frau einen ordentlichen Sari an.
Oben zwischen den Bäumen fliegen grüne Papageien mit rotem Halsband.
Die Ziegenherden werden von Frauen oder Kindern gehütet. Nur die Kuhhirten – ältere Männer – tragen weiß, einen Doti, und ein Oberteil, das in der Sonne blendet.

In einem Dorf können wir dem Barbier im Vorbeifahren beim Rasieren zuschauen. In den Feldern kann man gelegentlich buntpastellene Hindutempel erkennen. Aber auch kleine Grabmäler. In eine Lücke zwischen zwei Felder werden Häuser gebaut. Eine Wäscheleine hängt quer über einem Maisfeld mit bunten Saris, die im Wind flattern.

Dann bin ich verblüfft. Denn selbst im Fernsehen habe ich noch nie ein angeschirrtes Kamel gesehen. Irgendwie habe ich immer gedacht, Kamele wären höchstens zum reiten geeignet. Wieder was gelernt :-)

Wir fahren durch das Arvali-Gebirge. Ravi meint, es sei älter als der Himalaya. Ein rötlicher Steinhaufen, Steinbruch für Jahrtausende von Wind und Regen des Monsun. Kuhreiher sitzen am Straßenrand auf den Bäumen, aber Kühe oder Wasserbüffel sehe ich keine.

Idar ist eine Ortschaft, der von Stammesmitgliedern aus Rajasthan bewohnt wird. Sie haben einen roten Punkt auf der Stirn und die verheirateten Frauen einen rot gefärbten Scheitel. Ein roter Strich auf der Stirn der Männer heißt dagegen, dass sie einen Tempel besucht haben. Draußen vor der Stadt stehen Zelte. Bunte Tücher trocknen auf einem Stein. Es gibt ja hier noch Nomaden, ob dies welche sind? Ich weiß es nicht, wir durchfahren den Ort ohne anzuhalten.

Die Ladeflächen der Lastwagen vor uns sind nicht nur bis oben hin befüllt, es fahren auch noch Leute mit. Ein Junge liegt auf einem Stapel blau-weiß gestreifter Bretter, das Kinn auf den Händen und schaut in den nachfolgenden Verkehr. Auf dutzenden Säcken von Auberginen sitzen drei Männer und halten sich fest.

Und alles hupt fröhlich vor sich hin. “Horn OK, please!” steht auf den Lastwagen.

Der Stufenbrunnen von Adalaj

Stufenbrunnen heißen so, weil man hier über Stufen bis zur Wasseroberfläche hinabsteigen kann. Sie sind tief genug, um das Wasser aus den heftigen Regenfällen des Monsuns zu sammeln und lange, auch in der Trockenzeit, vorzuhalten. In der Tiefe sind sie schattig und kühl. In der Hitze Indiens wurden Stufenbrunnen daher auch schnell zu Orten, die einen angenehm Aufenhalt bieten. Menschen dekorieren die Orte, an denen sie sich oft aufhalten, da braucht Ihr Euch nur Eure Wohnung anschauen. Im Stufenbrunnen von Adalaj ist diese Dekoration in Form von prächtigen Reliefs umgesetzt worden.

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Der Brunnen ist übrigens auch ein beliebtes Ausflugsziel für Inder. Und die ließen sich netterweise bereitwillig porträtieren.

Mehr bei wikipedia über Stufenbrunnen und im speziellen über den Stufenbrunnen von Adalaj

Ahmedabad

Der Transfer vom Flugzeug zum Terminal bei der Ankunft in Dubai dauerte eine geschlagene Viertelstunde (sag noch einmal einer FRA wäre groß). Der Flug von Dubai nach Ahmedabad dagegen war nur kurz und schon gegen acht waren wir auf indischem Boden, auf dem Rollfeld von Ahmedabad, der größten Stadt des indischen Bundesstaates Gujarat.

Vor dem Tor werden wir von unserem Fahrer Nepal und einem Vertreter der indischen Agentur erwartet.  Das Flugzeug unseres Reiseleiters hat etwas Verspätung, aber als wir am nationalen Terminal ankommen hat auch er es geschafft, anzukommen. Er heißt Ravi und ich schätze ihn auf ca. 25 Jahre.

Auf geht es, in die Stadt hinein. Gleich hinter der Flughafenausfahrt eine Herde heiliger Kühe, wie um sämtliche Klischees zu bestätigen. Und vor dem Hotel empfängt mich auch schon die erwartete Kakophonie der Huptöne. Eine Welle gelbgrüner TucTucs brandet unaufhörlich durch die Straßen, nur gelegentlich durchbrochen von einem ausscherenden Motorradfahrer. Es riecht nach Zweitaktern.

Heute bekomme ich meinen ersten hinduistischen Tempel von nahem zu sehen. Den Swami Narajan Tempel. Was für eine Farbenpracht in Pastell. Die Figuren auf den Säulen sind bunt bemalt. Und indische Götter haben nicht nur menschliche Hautfarbe. Shiva zum Beispiel ist blau.
Auch wenn Ravi bestreitet, daß es eine strikte Trennung zwischen Frauen und Männern gibt: Vorne vor dem abgetrennten Bereich des Heiligtums stehen nur Männer. Und hinten unter dem offenen Tempeldach knien die Frauen. Aber in ihr Gebet vertieft sind offensichtlich alle.

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Die Steine unter unseren Füssen werden immer heißer. In der Sedhi Said Moschee muss man sich schnell von Schattenfleck zu Schattenfleck bewegen, mit den bloßen oder bestrumpften Füssen. Diese Freitagsmoschee ist eine sehr indisch wirkenden Moschee, deren Säulendach sich nach außen öffnet. Wenn wirklich viele Gläubige zugegen sind, können sie den ganzen Hof füllen und da passen ein paar tausend Leute hinein.
Als wir dort sind, betet dort aber niemand. Nur eine Familie mit Kindern sitzt unter den Bogengängen.

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Über der Altstadt von Ahmedabad kreisen Adler. Behauptet zumindest unser Reiseleiter steif und fest. Ich kann das fast nicht glauben. Aber für Falken sind diese Raubvögel doch etwas groß. Da oben in der Luft haben sie Platz, hier unten dagegen drängen wir uns durch die fahrenden TucTuc-Schlangen und zwischen Straßenständen und Geschäften durch. Obst,  Gemüse, Blumengirlanden, Flitter für das Navratri-Fest zur Ehren der Kriegsgöttin Durga, das derzeit gefeiert wird. Häuser mit durchbrochenen Holzfassaden und ein Müller, der sein Mehl in einem offenen Laden an der Straße mahlt.

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Auf dem Weg zum Mittagessen nehmen wir ein TucTuc und erleben den Verkehr nun wirklich hautnah. Bis auf wenige Zentimeter wird auf den Vordermann aufgefahren, egal ob Auto, ein anderes TucTuc, Motorradfahrer, Radfahrer oder Fußgänger. In elegantem Bogen schrammt man so gerade noch an seinem Nachbarn vorbei. Einen Anschnallgurt hat niemand.
Aber irgendwie geht alles immer gut.

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Dann versuchen wir uns am Calicio-Museum. Vor dem Auto am Parkplatz sitzt ein junges Ehepaar (das sie verheiratet sind, sind man am roten Scheitel der jungen Frau) und kocht. Die beiden haben dort offensichtlich ihre Wohnung. Sie fegt sorgfältig den Bürgersteig, an einem Baum gelehnt haben sie einen kleinen blumengeschmückten Alter aufgebaut Im Vorbeigehen lächelt sie uns zu.
Arm, das ja, aber elend, ich glaube nicht.

Im Calico-Museum haben wir unsere erste Begegnung mit der indischen Bürokratie. Man muss sich nämlich zu Beginn erst mal mit voller Adresse in das Museumsbuch eintragen und bis das alle 20 getan haben dauert es etwas. Das Calico-Museum hat sehr schöne Wandbehänge, aber um sie verstehen zu können, um zu wissen, worum es darauf geht, muss man die Geschichte(n) des Hinduismus kennen und die kenne ich bisher nur rudimentär. Selber durch die Räume gehen darf man nicht. Wir entschließen uns, abzubrechen. Und müssen dem Mann am Ausgang dann auch noch eine schriftliche Begründung liefern.

Letztes Ziel des Tages ist der Sabarmati-Ashram. Hier hat Gandhi mit seinen Gefolgsleuten in den dreißiger Jahren gewohnt. Von dort startete er seinen Salzmarsch. Heute ist dort eine Ausstellung über sein Leben und seine Weggefährten. Vieles erinnert an den Gandhi-Film damals Ende der 80er, der mich damals sehr bewegt und auch geprägt hat.
In einem Teil des Ashrams werden heute Kinder spielerisch in die Lehren Gandhis eingeführt. Gandhis Lehre soll nicht verloren gehen. Inwiefern sie heute noch Indien prägt, vielleicht werde ich auf meiner Reise mehr erfahren.
Gandhi-Statue im Sabarmati-Ashram im Ahmedabad