Ein Blautopf, eine Klosterruine und die Badestadt Sarande

Was ist bloß mit mir los. Schon wieder bin ich vor dem Wecker wach, eine geschlagene Stunde. Der Burgberg von Girokaster liegt noch im Schatten. Diese Nacht war erheblich ruhiger, als die Nacht davor, nur der Verkehrslärm drang durch die Einfachverglasung.

Unten auf dem Bürgersteig beobachte ich ein kleines Mädchen in rotem T-Shirt und Leggins, das auf einem Stück Pappe sitzt und das Betteln übt. Mal sitzt es pflichtbewusst im Schneidersitz, mal gelangweilt mit ausgestreckten Beinen. Dann ruft es ein Mann zu sich und es läuft auf bloßen Füßen, um ein paar Lek in Empfang zu nehmen. Ein anderer Mann wirft ihm Münzen in den Schoss, ohne es auch nur anzusehen. Meistens wird es aber ignoriert.

Der erste Halt auf dem Weg nach Sarande ist – an einem Müllberg. Die Leute werfen im allgemeinen an einem Hang, gut erreichbar, aber vom Dorf nicht direkt einsehbar, ihren Müll hinunter. Der aktuelle Müllberg wird überspannt von einer alten Brücke aus osmanischer Zeit und mit etwas Anstrengung kann man die Brücke auch ohne Müll fotografieren.

Auch in Albanien gibt es eine Art Blautopf, eine Quelle, die türkis leuchtet, genannt Syri Kalter.

Darüber schweben leuchtend blaue Libellen, und auch schwarze und braune. Und Schmetterlinge in weiß und orange. Ganz zu schweigen von den Kreuzspinnen, die ihre Netze spannen.

Der dritte Halt des Tages ist am Kloster Mesopotam, von dem nur die Kirche und ein paar Mauerreste noch stehen. Die Kirche selber ist innen weiß verputzt, auf dem Putz sitzen schwarz-weiße Messpunkte, die Renovierung steht kurz bevor. Eine Ahnung der Fresken bekommt man hinter der Ikonostase. Hier können wir wirklich hinter der Ikonostase herlaufen, die Kirche ist derzeit nicht in Benutzung. Die Ikonostase selber erinnert mich stark an eine durchbrochene Tür, die ich einmal in China gesehen habe, eine Schnitzerei mit vielen Tieren. Die Ikonen sind, man kann es nicht anders sagen, neu und kitschig katholisch und haben sich wohl irgendwie hierher verirrt.

Der Friedhof neben dem Kloster ist typisch albanisch. Sarkophage aus weißem Stein haben an der Kopfseite weiße Grabsteine mit Photos, auf denen rechts oben entweder ein Kreuz oder ein Halbmond oder auch gar nichts angebracht ist.
Muslime und Christen und Atheisten teilen sich den Friedhof.

Halbmond und Kreuz friedlich vereint im Tod (und im Leben)
Halbmond und Kreuz friedlich vereint im Tod (und im Leben)

An unserem letzten Zwischenstopp an diesem Tag sehen wir dann zum ersten Mal das ionische Meer, von einer Festungsmauer aus, die die Betonburgen von Sarande überblickt. Gegenüber – man könnte meinen, man könnte schwimmen – liegt Korfu.

Hier unten in Sarande ist es so richtig warm und schwül, mir schlägt die Luftveränderung etwas auf den Kreislauf. Da eh kein Programm mehr ansteht, legte ich mich erst einmal hin und schlafe bis halb sechs durch.

Dann spaziere ich die Promenade entlang bis fast zum Containerhafen, vorbei an den unzähligen Restaurants, der Bar mit dem Che Guevara Plakat und den badenden Albanern.

Unter den Bogengängen mit den Duschen wartet eine alte Frau mit Kopftuch und Pluderhosen. Gebeugt vom schmerzenden Rücken stützt sie sich auf einen Stock und wartete auf ihre Enkeltochter, ein vielleicht zehnjähriges pummeliges Mädchen, das in ein Handtuch gehüllt vom Strand kommt. Die beiden laufen gemeinsam weiter und teilen sich ein Eis.

Abwärts
Abwärts

Mit dem herannahenden Abend füllt sich die Promenade zunehmend, alle tragen ihre besten Kleider und ganze Familien machen einen Spaziergang. In den Restaurants sitzen die Männer und trinken ihren unausweichlichen Kaffee und schauen dem Treiben zu. Der Muezzin ist über die laute Popmusik hinweg kaum zu hören. Jutta und ich sitzen auf der Strandmauer und gucken Leute und spekulierten, ob der einzige Pakistani im Ort, der weiter im Zentrum mit seiner verschleierten Frau Sandalen verkauft, wohl gerade seinen Gebetsteppich ausrollt. Muslime hier in Albanien sind sehr liberal. Kopftuch tragen nur die Landfrauen und das auch nur aus den selben praktischen Gründen wie bei uns in Deutschland.

In den steilen Straßen von Girokaster

Trotz der mehr oder weniger durchwachten Nacht bin ich um viertel vor sieben, noch vor dem Wecker, wach. Auch Jutta hält es nicht mehr im Bett. Unten im Speisesaal trifft sich eine mehr oder weniger übermüdete Reisegesellschaft. Nur Gerhard – er hört auf einem Ohr nicht mehr so gut – hat problemlos durchgeschlafen.
Jutta, Denise und ich ziehen los, hinauf in die steilen Altstadtstraßen von Girokaster, verlieren uns aber schon quasi auf den ersten Metern, weil ich den Markt ansteuere, während die beiden direkt hinauflaufen in die Altstadt. Der Markt – so etwas Leeres habe ich schon lange nicht mehr gesehen, Die Händler schauen mich sehnsüchtig an, aber Second-Hand-Klamotten brauche ich nun wirklich nicht, so muss ich sie leider mit sich selber alleine lassen.
Ich biege ab in ein Wohnviertel und erreiche kurz darauf die Kopfsteinpflasterstrasse, die hinauf in die Altstadt führt. An der Ecke stehen gerade Gerhard und Gisela, die die Karte studierten und sie laden mich ein, mit zu laufen. Gisela fotografiert fast so gerne wie ich, hat aber eine kleine Lumix, keine SLR.
Gemeinsam laufen wir langsam den Burgberg hinauf durch die Altstadt, immer mal wieder auf Seitenwegen, teils auch leicht vermüllt oder überwachsen (immerhin kein stinkender Müll, bloß viel Plastik). Wir werfen Blicke in die Gässchen und die Gärten der Burghäuser, die so typisch sind für die Altstadt von Girokaster. In ein Haus wären wir bald zum Kaffee eingeladen wollen, aber Gerhard sträubt sich leider.

Die Serpentinen abkürzend, die die Taxis fahren, erreichen wir nach steilem Aufstieg die Burg selber. Der Eingang führt durch ein mit Kanonen gefülltes dunkles Gewölbe (das im Reiseführer zumindest nicht ganz zu unrecht als Mutprobe bezeichnet wird).

Der Kassierer fragt, ob ich deutsch sei, es wären heute schon so viele Deutsche da und ich berichte über unsere Gruppe von fünfzehn Leuten. Hier fällt man als Tourist noch so richtig auf.
Der Burghof selber ist eher interessant durch den weiten Ausblick, den man über die Stadt hat. Das Waffenmuseum habe ich mir gespart.

Ich alleine wäre wahrscheinlich nicht weiter nach oben gestiegen, aber Gisela will die Burg von oben überblicken, und so klettern wir weiter hinauf, vorbei an Maultieren, galoppierenden Pferden und kleinen Mädchen, die „What’s your name?“ rufen und dann schüchtern hinter der Tür verschwinden, ehe man antworten kann. Dann die älteren Leute, die auf ein Hallo und ein Lächeln mit einem festen freundlichen Handschlag antworten und auf albanisch auf mich einreden. Ich rede dann freundlich auf deutsch zurück und wir verstehen uns perfekt.
Wie steil der Aufstieg wirklich war, nehmen wir erst beim hinabgehen wahr, zum geradeaus laufen geht es viel zu sehr hinab, wir denken uns Serpentinen auf der Straße, die wir dann verfolgen.

Zu Mittag trennen wir uns, ich setze mich an den zentralen Platz etwas unterhalb der Touristeninformation in eines der beiden von Platanen überschatteten Cafés, esse vegetarisches Köfte (sprich gewürzte Reisbällchen) und Tomatensalat und schreibe endlich mal Postkarten. Endlich mal ein Kellner, der englisch spricht. Anschließend bekomme ich einen Teller Melonen als Zugabe und unterhalte mich kurz über Hotel und Stadt.

Gegen drei bin ich wieder unten am Hotel. Auf der Treppe sitzt Hans und fragt, ob ich mit will zur ältesten Kirche der Gegend. Klar, solange ich nicht noch viel laufen muss. Also mieten wir für je 20 EUR zwei Taxis und fahren zu sechst mit einem deutschsprachigen Guide hinauf in die Berge. Die sind hier wesentlich karger als am Vortag.

Das Dorf mit der Kirche – Labova e Kryqit (Labova vom Kreuz) – ist eine gute halbe Stunde von Girokaster entfernt hoch und abgelegen am Berg und unser Guide erzählt die Geschichte der Kirche in gebrochenem, aber verständlichem Deutsch. Die Sage erzählt, das dies der Ort der ältesten Kirche der Welt sei, gegründet nach einem Besuch von Paulus höchstselbst in der Gegend. Ein Stück des Kreuzes, gestiftet von Kaiser Justinian, soll bis 1990 in der Kirche gewesen sein – trotzdem sie während der kommunistischen Diktatur nur Waffenlager war. 1990 mit der Öffnung Albaniens wurde das Kreuz von zwei jungen Männern gestohlen, sie nahmen das Gold und das Silber, in das es gehüllt war und warfen das Holz in den Fluss. Seitdem wurde es nicht mehr gesehen. Die Männer wurden erwischt und sassen lange Jahre im Gefängnis.

In der Zeit, in der uns unser Guide diesen Geschichten erzählte, fuhr die  Schlüsselwächterin her. Mit einem Schlüssel beeindruckender Größe öffnet sie dann den Kirchhof und die Kirche selber.
Das eigentlich beeindruckende an dieser Kirche ist die vergoldete Ikonostase, fein geschnitzt und augenscheinlich recht alt. Auch ein Teil er Ikonen sieht für mich alt aus. Wie unser Guide erzählt, soll die Kirche in Kürze von Großbritannien saniert werden, der Botschafter wäre so begeistert gewesen, er hätte gleich an Ort und Stelle nach England angerufen, und die Sanierung in Auftrag gegeben.

Wir dürfen nach Herzenslust fotografieren. Über die Anderen habe ich mich aber ein bisschen geärgert, weil sie einen Blitz benutzten, es gab genug Ablageflächen, um eine Kamera stabil hinstellen zu können.

Wir legen fünf Euro drauf und fahren weiter nach Libohova zum Kaffee trinken. Unter einer wahrhaft monumentalen Platane sitzen wir zusammen mit unserem Guide und den beiden Fahrern und einem weiteren Gast zusammen.

Unser Guide heißt Ermir und ist im normalen Leben Physiklehrer, verdient um die 300 EUR im Monat und sorgt mit seinen Führungen für ein kleines Zubrot. Morgen sind übrigens in Albanien die staatlichen Abiturprüfungen in Mathematik. Einer der Fahrer hat Ingenieurwissenschaften studiert, findet aber keine Arbeit und fährt daher Taxi.
Der andere Fahrer – von Kathrin als „Schuhmacher“ tituliert – nimmt die Herausforderung an und lässt sie auf dem Rückweg für ein paar Kilometer ans Steuer. Auch ein kleines Abenteuer so ohne Führerschein in der Tasche und erst recht ohne Taxischein.
Im Taxi bekommen wir auch hautnah mit, wie sehr hier per Augenkontakt gefahren wird, wie wenig Schilder und Ampeln gelten, sofern es sie gibt. Einen Unfall habe ich aber bisher noch nicht gesehen.

Voskopoja

Der Markt von Korca, nur gut hundert Meter vom Grand Hotel Palace entfernt, versteckt zwei Hans im Gewühl der Stände. Ein Han ist ein Hof, in denen zur Zeit der Türken Gäste untergebracht wurden. Bei Karl May kommen sie auch vor. Den einen der beiden erkennt man an den Balustraden, den anderen an den geschmiedeten Geländern. Dazwischen verkaufen Sinti und Roma Haushaltswaren und Kleider und Lebensmittel. Ein sehr bunter Markt. Ein Mann fordert mich auf, ihn zu fotografieren. Im Nachhinein eigentlich die klassische Taschendiebsituation, aber er meint es wirklich so, und hat nur die Hoffnung, das ich eine Uhr oder Parfüm kaufe. Und nickt verständnisvoll und freundlich, als ich entschuldigend mit den Schultern zucke, lächle und sage, ich könne leider weder das eine noch das andere gebrauchen.

Unser eigentliches Ziel heute morgen heißt Voskopoja. Diese Stadt war im achtzehnten Jahrhundert die größte Stadt des europäischen Balkans nach Konstantinopel. Davon merkt man heute diesem verschlafenen Dörfchen nichts mehr an. Voskopoja ist Heimat einer albanischen Minderheit – der Aromunen. Ihre Sprache ist eng mit der rumänischen Sprache verwandt. Sie gelten als Nachfahren der Thraker.

Die touristische Attraktion von Voskopoja sind seine Kirchen. Diese standen noch 2005 auf der Liste für die zehn am meisten gefährdetsten Monumente der Welt (warum jetzt nicht mehr, ich konnte darüber nichts finden) und sind wahre Schmuckstücke, die dringend renoviert werden sollten. Ein kleiner Junge bringt uns zur ersten von vieren die wir uns näher ansehen.

Der dunkelgrün gewandete Pope schließt uns einen blauen rauchgeschwärzten Kirchenhimmel auf und erklärt in einem Gemisch aus Französisch und Italienisch, das die Kirche hauptsächlich in der Osterzeit bis Pfingsten genutzt wird und das die Fresken viel von dieser Zeit erzählen. Außen  an der Kirche ist eine Heiligengalerie in Freskenform, von irgendwelchen Idioten (Kriegsfolgen? Hoxha?) mit eingeritzten Namen verziert.

Die Marienkirche – ehemals Bischofskirche, betrachtet wir nur von außen.

Dann geht es über Eselspfaden quer durch das Dorf

und vorbei an einem störrischen Pferd, das den Weg bald zehn Minuten versperrt

zur dritten, St. Athanasios, bei der wir die Aussengalerie auch mal in Ausführlichkeit fotografieren können. Deutschland ist übrigens an der Renovierung beteiligt.


Hinter der Kirche bis hinunter ins Tal liegt ein Friedhof, die Gräber so ausgerichtet, als ob die Verstorbenen die schöne Aussicht bewundern sollen. Unten an einem Grab hat sich eine kleine Gruppe gebildet, der wir uns auf dem Weg hinunter langsam nähern. Da erklingt der Singsang und das Trillern der Klageweiber, dann auf einmal ein herzzerbrechendes Schluchzen als sich der Sarg ins Grab senkt und eine Frau wird von zwei Männern in ihrer Trauer gestützt.

Auf dem Weg hinauf zur letzten Kirche – St. Johannes Prodomos – gewinnen wir Abstand vom gerade erlebten. Bald eine Stunde geht es steil und ohne ein gerades Stück hinauf durch eine Landschaft aus beschatteten Bergen, sonnenbeschienenen Wiesen und Nadelwäldern. Ich bin zwar zufrieden mit meiner Kondition, aber eher hinten an und komme so gerade rechtzeitig, als die Kirche aufgeschlossen wird. Sie ist innen weiß mit beige und in schlechtem Zustand. Und definitiv – so lange wie die Wächterin nach dem Schlüssel gesucht hat – nicht oft von Touristen besucht.

Vier Kilometer von Voskopoja essen wir im Garten eines rustikalen Restaurants zu Mittag. Der junge Bär in seinem viel zu kleinen Käfig diente als Touristenattraktion. Jeder der dies liest und nach Albanien kommt, sollte immer wenn er sowas sieht den Wirtsleuten klar machen, das sowas Tierquälerei ist und keine Attraktion. Aber die Albaner sind anscheinend noch nicht soweit, darauf selber zu kommen.

Das Ikonenmuseum von Korca ist eigentlich das Museum mittelalterlicher Kunst von Albanien und hat mehr als 6500 Exponate in seinen Lagern. Ausgestellt sind davon gut 50, Ikonen aus den Epochen vom 13. bis zum 18. Jahrhundert und ich beginne, Muster zu erkennen.

In der Kathedrale hielt ein einsamer Pope mit nur einer Gottesdienstbesucherin Gottesdienst, schwenkt den Weihrauch vor und hinter der Ikonostase und singt den Ritus. Ich höre ein paar Minuten zu, bevor es Zeit wird fürs Abendessen.

Nach Albanien haben es übrigens mittlerweile auch die Japaner geschafft, sie sitzen zu 40 in der Hotellobby auf ihrem Weg durch den Balkan. Jedes Land zwei Tage. Nun ja.