Von Sarande nach Berat

Vorne im Bus wird fantasiert. In Albanien gibt es doch diese 700.000 Bunker (das ist kein Scherz, sondern Enver Hoxhas Paranoia). Wie wäre es also mit einer Ferienanlage? Hmm…

In engen Serpentinen geht es von Sarande entlang der Küstenstraße und dann ein Stück ins Land hinein nach Berat. Eine lange Fahrt heute, von früh um halb Acht bis Abends um kurz nach Sechs. Die Straße ist im Bau, aber selbst auf den neuen Strecken passen Bus und Bus kaum aneinander vorbei. Molnia, unserer Fahrer, leistet ganze Arbeit und weder wir noch die Autos, die uns entgegenkommen, enden mit Schrammen an den Felswände oder einem unfreiwilligen Bad samt Fahrzeug im Meer. Der Applaus für ihn Abends kommt von Herzen und aus voller Seele.

Die Landschaft erinnert ein bisschen an die Toskana, wie ich sie mir vorstelle (da war ich nämlich noch nicht) – Häuser mit roten Dächern und gelblichem Stein zwischen Pinienhainen.
Viele Dörfer gibt es hier nicht, um so überraschender trifft uns auch das voll ausgestattete Möbelhaus mitten im Nichts. Albaner bevorzugen – nach den Schaufenstern zu urteilen – mittelbraune repräsentative, geschnitzte aber doch leichte Möbel, die lackiert sind.

Ungefähr zweieinhalb Stunden von Sarande, eine dreiviertel Stunde vor Queparo – an der Straßenseite wird gerade auf einem Balkon einem Schaf das Fell abgezogen – halten wir vor einem Rasthaus und erleben eine kleine Überraschung. Hinter dem Haus ist der ganze Hang überzogen mit Wasserfällen, dazwischen kleinen Emporen für Tische und Stühle und viele viele Libellen in den schillerndsten Farben. Sieht man von den quer gezogenen Rohren ab – Wunderschön!

Und vor Berat komme ich mir ganz heimisch vor – Gewächshäuser, wie auf den Kräuterfeldern in Oberrad. Hier werden Tomaten gezüchtet. Man merkt auch, das die Gegend hier etwas wohlhabender ist. Wir sehen nicht nur Leute mit Sensen auf den Feldern, sondern auch Mähdrescher und quadratische Heuballen.

Kurz vor der Stadt liegt Apollonia – dort ist der römische Kaiser Augustus einmal zur Schule gegangen.  Da die Sonne schon recht tief steht, werfen die römischen Säulen lange Schatten. Etwas lästig sind die Mücken. Immerhin keine Zecken, vor denen in Albanien ja auch gewarnt wird.

Neben der Ausgrabungsstätte ist das Museum – wohl ein ehemaliges Kloster in dessen Innenhof eine Kirche steht, die Kinosessel hat.

Und (!) – wir merkten es zuerst am Geruch – hier wird Öl gefördert. Ein Wald von Ölbohrtürmen. Ich muss mal nachforschen, was das zur Wirtschaft Albaniens beiträgt.

In Berat hatten wir dann unsere erste nahe Begegnung mit der albanischen Eisenbahnen – die Bahnschienen am Übergang ragten bestimmt 20 cm aus der Straße heraus, da spart man sich dann auch Kölner Teller für die Verkehrsberuhigung.

Abends aus dem Hotelfenster ein Blick in einen albanischen Park – sehr belebt mit vielen fröhlichen Kindern.

Butrint

Sarande ist eigentlich nur der Übernachtungsstopp. So fahren wir – vorbei an Muschelbänken und einem Flußdelta – zur eigentlichen Attraktion der Gegend – Butrint.

Am Bootssteg am Eingang lugt ein Krebs unter einem Stein hervor und im Dachfirst des Kassenhäuschen schreien Schwalbenküken mit weit geöffneten gelben Kehlen nach Futter. Am Eingang von Butrint liegt eine Allee von Eukalyptusbäumen, in denen es von Schwalbennestern nur so wimmelt, so dass man vor Zwitscherei kaum sein eigenes Wort versteht.

Butrint hat eine lange Geschichte. Entstanden im vierten Jahrhundert vor Christus als Asklepios-Heiligtum (das ist der Gott der Medizin – der mit der Schlange als Symbol) bestand die Stadt durch die Jahrhunderte und zeigt Ausgrabungen und Ruinen aus allen Epochen – griechisch, römisch, byzantinisch und venezianisch. Es gibt ein Amphitheater, Reste eines Tepidariums (eine römische Fußbodenheizung) und eine Zyklopenmauer, die zu griechischen Zeiten Stadtmauer war. Reste eines Aquäduktes und einer Kirche und noch vieles mehr. Butrint lässt sich angenehm im Schatten durchwandern, und in gut zwei Stunden sieht und lernt man viel. Was nicht zu sehen ist, ist leider das Mosaik rund um das Baptisterium – zum Schutz vor Besuchern und Luft mit Sand abgedeckt.

Wir sind in den zwei Stunden – abgesehen von ein paar Arbeitern – vollkommen alleine, erst als wir um halb eins das Gelände verlassen übertönt eine italienische Touristengruppe das Zwitschern der Schwalben.

Souvenierstände waren bisher vollkommen uninteressant, hier in Butrint aber verkaufen sie Trachten. So eine weiße bestickte Bluse hätte mir auch gefallen, sie passt sogar fast, nur um die Achseln herum ist sie leider viel zu eng.

Nachmittags baden wir in der Nähe von Butrint. Glasklares Wasser schlägt in leichten Wellen an den Sandstrand. Die meisten Liegestühle sind leer und wir genießen die Ruhe und schwimmen im Meer.

Ein Blautopf, eine Klosterruine und die Badestadt Sarande

Was ist bloß mit mir los. Schon wieder bin ich vor dem Wecker wach, eine geschlagene Stunde. Der Burgberg von Girokaster liegt noch im Schatten. Diese Nacht war erheblich ruhiger, als die Nacht davor, nur der Verkehrslärm drang durch die Einfachverglasung.

Unten auf dem Bürgersteig beobachte ich ein kleines Mädchen in rotem T-Shirt und Leggins, das auf einem Stück Pappe sitzt und das Betteln übt. Mal sitzt es pflichtbewusst im Schneidersitz, mal gelangweilt mit ausgestreckten Beinen. Dann ruft es ein Mann zu sich und es läuft auf bloßen Füßen, um ein paar Lek in Empfang zu nehmen. Ein anderer Mann wirft ihm Münzen in den Schoss, ohne es auch nur anzusehen. Meistens wird es aber ignoriert.

Der erste Halt auf dem Weg nach Sarande ist – an einem Müllberg. Die Leute werfen im allgemeinen an einem Hang, gut erreichbar, aber vom Dorf nicht direkt einsehbar, ihren Müll hinunter. Der aktuelle Müllberg wird überspannt von einer alten Brücke aus osmanischer Zeit und mit etwas Anstrengung kann man die Brücke auch ohne Müll fotografieren.

Auch in Albanien gibt es eine Art Blautopf, eine Quelle, die türkis leuchtet, genannt Syri Kalter.

Darüber schweben leuchtend blaue Libellen, und auch schwarze und braune. Und Schmetterlinge in weiß und orange. Ganz zu schweigen von den Kreuzspinnen, die ihre Netze spannen.

Der dritte Halt des Tages ist am Kloster Mesopotam, von dem nur die Kirche und ein paar Mauerreste noch stehen. Die Kirche selber ist innen weiß verputzt, auf dem Putz sitzen schwarz-weiße Messpunkte, die Renovierung steht kurz bevor. Eine Ahnung der Fresken bekommt man hinter der Ikonostase. Hier können wir wirklich hinter der Ikonostase herlaufen, die Kirche ist derzeit nicht in Benutzung. Die Ikonostase selber erinnert mich stark an eine durchbrochene Tür, die ich einmal in China gesehen habe, eine Schnitzerei mit vielen Tieren. Die Ikonen sind, man kann es nicht anders sagen, neu und kitschig katholisch und haben sich wohl irgendwie hierher verirrt.

Der Friedhof neben dem Kloster ist typisch albanisch. Sarkophage aus weißem Stein haben an der Kopfseite weiße Grabsteine mit Photos, auf denen rechts oben entweder ein Kreuz oder ein Halbmond oder auch gar nichts angebracht ist.
Muslime und Christen und Atheisten teilen sich den Friedhof.

Halbmond und Kreuz friedlich vereint im Tod (und im Leben)
Halbmond und Kreuz friedlich vereint im Tod (und im Leben)

An unserem letzten Zwischenstopp an diesem Tag sehen wir dann zum ersten Mal das ionische Meer, von einer Festungsmauer aus, die die Betonburgen von Sarande überblickt. Gegenüber – man könnte meinen, man könnte schwimmen – liegt Korfu.

Hier unten in Sarande ist es so richtig warm und schwül, mir schlägt die Luftveränderung etwas auf den Kreislauf. Da eh kein Programm mehr ansteht, legte ich mich erst einmal hin und schlafe bis halb sechs durch.

Dann spaziere ich die Promenade entlang bis fast zum Containerhafen, vorbei an den unzähligen Restaurants, der Bar mit dem Che Guevara Plakat und den badenden Albanern.

Unter den Bogengängen mit den Duschen wartet eine alte Frau mit Kopftuch und Pluderhosen. Gebeugt vom schmerzenden Rücken stützt sie sich auf einen Stock und wartete auf ihre Enkeltochter, ein vielleicht zehnjähriges pummeliges Mädchen, das in ein Handtuch gehüllt vom Strand kommt. Die beiden laufen gemeinsam weiter und teilen sich ein Eis.

Abwärts
Abwärts

Mit dem herannahenden Abend füllt sich die Promenade zunehmend, alle tragen ihre besten Kleider und ganze Familien machen einen Spaziergang. In den Restaurants sitzen die Männer und trinken ihren unausweichlichen Kaffee und schauen dem Treiben zu. Der Muezzin ist über die laute Popmusik hinweg kaum zu hören. Jutta und ich sitzen auf der Strandmauer und gucken Leute und spekulierten, ob der einzige Pakistani im Ort, der weiter im Zentrum mit seiner verschleierten Frau Sandalen verkauft, wohl gerade seinen Gebetsteppich ausrollt. Muslime hier in Albanien sind sehr liberal. Kopftuch tragen nur die Landfrauen und das auch nur aus den selben praktischen Gründen wie bei uns in Deutschland.