Der Fluch der Arktis ist gebrochen.

Wir warten auf die Flut, aber erst einmal kommt um 21 Uhr das Niedrigwasser. In die Kabine traue ich mich immer noch nicht – dieses beengende Gefühl.

Gegen Mitternacht merken wir dann, dass sich das Schiff langsam zurück neigt.

Und gegen halb Eins steht das Schiff wieder gerade :-) .
Da ruft uns Joachim hinauf, er braucht noch einmal unsere gesammelte Hilfe.
Und über den Gletschern glühen die Berggipfel kurz auf bis sie wieder im Nebel verschwinden. Ein Strahl der Hoffnung.

Wie heute mittag drücken wir den Kiel per Klüverbaum nach unten. Die Dingys mit Dirk und Svenja drücken von der Seite.
Dann laufen wir hinten hin und her. Trisch gibt mit einem Topf den Takt an.

Auf einmal ruckt es und da bewegt sich der Kiel. Das Schiff dreht langsam.

Noch einmal alle nach vorne.

Um ziemlich genau zwei Uhr lacht Kathrin übers ganze Gesicht. Wir sind frei. :-) :-) :-)

Uups, die Bierfässer, Hilfe! Die stehen mittlerweile mit den Füßen im Wasser!

Also schnell hinüber. Die ruhmreichen Retter drehen mit bester Laune noch eine Ehrenrunde im Dingy ums Schiff. Um halb drei morgens – bei hellem Tageslicht – stoßen wir an auf unsere Befreiung.

Dann verschwinden die meisten geschafft in ihrer Koje.

Fußnote:
Warum heißt dieser Eintrag "Der Fluch der Arktis"? Nun, im "Fluch der Karibik" muss es auch so eine Szene geben, wo ein Schiff durch Hin-und-Her-Laufen frei geschaukelt wird. Wird Zeit, das ich mir auch Teil 2 mal zulege.

Aufgesetzt

Gegen drei kommen wir am Raudfjordgletscher an und Joachim beginnt, wie am Monacobreen, die Gletscherwand entlang zu fahren. "Falls da eine größere Welle kommt, lasst die Tür zum Salon bloß zu. Lauft besser aufs Oberdeck, das reicht." ruft er von oben. Wir fahren im Nebel die Wand entlang. Eine gespenstische Stimmung und Stille. Der Fotoapparat zeigt kaum Kontraste auf dem Bildschirm. Ich höre noch nicht einmal Vögel. Nur Elfi meint später, sie hätte Glocken gehört.

Dann hören wir auf einmal doch etwas. Fast haben wir den Gletscher abgefahren, da knirscht es laut vernehmlich unter dem Bug. Yolanda erzählt später, sie hätte Joachim noch kurz fluchen gehört "Funktioniert dieser blöde Tiefenmesser mal wieder nicht". Und schon sitzen wir fest. Der Motor röhrt, das Schiff bewegt sich keinen Meter. Sch… Was nun?

Joachim kommt heraus und nun müssen wir Passagiere heran. Wir werden von einer Seite des Schiffs zur anderen geschickt und merken, wie das Schiff sich durch unser gesammeltes Gewicht bewegt. Ziel ist es, das Schiff frei zu schaukeln. Dann müssen wir nach vorne und die Gelenkigen setzen sich vorn auf den Klüverbaum. und ins Netz. Wieder röhrt der Motor.

Alles hilft nichts. Wir sitzen fest.

Irgendwie müssen wir das Schiff dazu kriegen, höher im Wasser zu liegen. Also werden als nächstes die Bierfässer unter den Dielen im Kabinenflur hervorgeholt. 22 Stück stehen kurz darauf einsam am Strand.
Es reicht nicht.

Als letztes werden wir Passagiere von Bord geschickt.

Die meisten haben trotz Gelächter ernste Gesichter. Was nimmt man mit? Wie lange wird es dauern? Müssen wir abgeholt werden? Immerhin liegen andere Schiffe in der Nähe. Was zieht man an. Ich nehme meine dickste Hose, ziehe die Regenhose noch über, einen extra Pulli. Über den Flur höre ich "Also, Kreditkarte und Ausweis sollte man immer dabei haben". Gute Idee. Und packe beide in die Innentasche meiner Jacke. Die Rettungsdecke lagert dort schon seit Beginn der Reise, als wir sie bekommen haben.

Wir setzen zum Geröll unterhalb der Gletscherzunge über ,auf dem schon die Bierfässer stehen. Man muss aufpassen, wo man hin tritt, denn die kleineren Steine fangen an, sich zu bewegen. Zwei Stiefel versinken bis über die Knöchel im Match. Besser nicht bewegen. Ich suche mir einen großen Felsbrocken zum hinsetzen.

Jan und Jelle nehmen die meisten mit auf Wanderung, aber ich habe keine Lust über Steinbrocken zu klettern und auch viel zu viel an und Kathrin sowieso nicht. Auch Waltraud mit ihren viel zu großen zwei rechten Stiefeln und Maren setzen ebenfalls wieder zum Schiff über. Barbara war schon zuvor zurückgeholt worden.

Das Wetter klart auf.

Wir beobachten atemlos das Geschehen an Bord. Joachim kommt im Taucheranzug aus der Kabine. Trisch hängt ihm die Flasche um. Mir graust beim Gedanken an dieses im Sinne des Wortes eiskalte Wasser.
Er steigt hinab, gefolgt von einem Stein und einer orangefarbenen Boje.

Nach fünf Minuten kommt er wieder hoch, mit kältestarrem Gesicht. Das Gesicht fragt Trisch, nein, die Finger, meint er und sie wärmt sie mit Händen und Handtuch bis er aus den Sachen raus kann und sich unter der warmen Dusche – das Wasser funktioniert noch – wärmt.

Im Niedrigwasser hat sich die Antigua geneigt, liegt in einem Zwanzig-Grad Winkel glatt auf dem Kiesbett auf. Auf der Strecke die Joachim in den fünf Minuten geschafft hat, waren keine Schäden zu erkennen. Ein beruhigendes Gefühl.

Jetzt hilf nur noch warten auf die Flut.

Wir gehen in den Salon während das Schiff sich weiter neigt. Kati mein, das wäre wie segeln unter Segeln, nur ruhiger. Dirk meint, so eine Schräglage hätte er er noch nicht erlebt. Sabine meint nur entsetzt "Das Schiff liegt schräg, dann liegt ja auch das Klo schräg." .. Immerhin funktioniert es noch.
Nicht nur das Klo ist schräg, die Kojen auch. In Fall von Kathrin und mir würde das bedeuten, an die Wand zu rollen. Aber mich überkommt eher die Gedanken an eine bedrückende Enge. Nein, schlafen will ich jetzt nicht, da unten. Irgendwann fange ich dann an, meine Bilder weiter zu bearbeiten.

Nach drei Stunden werden die Anderen wieder aufs Schiff geholt. Getränke gehen jetzt aufs Haus. Die Küche funktioniert auch noch, der Hunger ist keinem vergangen.

Draußen schwimmt eine Eisscholle vorbei, die aussieht wie Neptun, der sich gerade schräg lacht.

Wanderung am Raudfjord

Die morgendliche Wanderung am Raudfjord soll nicht allzu schwer sein und ich habe das dringende Bedürfnis nach Frischluft. Also schließe ich mich an, Erkältung hin oder her.

Gleich am Ufer finden wir Hinweise auf menschliche Bewohner der Gegend, eine Fuchsfalle, die aktiv zu sein scheint. Der Fuchs fällt hinein, sein Fell bleibt unverletzt.

Die Landschaft ist geprägt von Steinkreisen. Nein, nicht a la Stonehenge. Die Steinkreise hier auf Spitzbergen entstehen dadurch, dass kleineres Gestein nach unten rutscht und größere Felsbrocken nach oben drängen. Das ganze gibt es auch in einer langgezogenen Version namens Soliflux. Das ist typisch für den Permafrostboden.
Die Farben der Landschaft sind grau oder leicht graubraun, passend zum Himmel. unvermittelt unterbrochen von grünen Moospolstern mit rostroten Flechtenrändern. An einer Stelle sind die Steine lila.

Wir finden ein Rentiergeweih, das mehr als halb so hoch ist wie Jan. Davon tragen die Böcke zwei auf dem Kopf. Keine leichte Last! Sie nutzen es anscheinend im Winter auch als Schaufel, erzählt Jan. Ich nutze die Gelegenheit, meine Mitreisenden zu porträtieren.

Kurz darauf teilt sich die Gruppe. Die fitteren klettern eine Hügel hinauf während Holger, Bärbel, Kathrin, Maren, Johannes und ich zurückbleiben. Jan bittet uns, einfach einmal still zu sitzen und zu horchen. Ich höre das leise Rauschen des Windes, irgendwo kreischt eine Küstenseeschwalbe. Ich blicke mich um und sehe die Farben der Steine, dazwischen Flechten und Blumen und Moos. Eine wunderbare Stille.

Unterbrochen vom Funkgerät. Wir stehen auf und besuchen die Trapperhütte hundert Meter weiter. Zwei Bretter dienen als Lager, darüber ein breites Regal als Schrank, im Vorraum eine Bank und ein Schreibtisch. Der Boden wirkt marode. Wir tragen uns ins Gästebuch ein.

Nach einer langen Dingy-Tour zurück zur Antigua bekommen wir schon einmal zu essen. Die anderen folgen eine halbe Stunde später. Wie lange der ganze Tag werden wird, ahnen wir jetzt noch nicht.