Die morgendliche Wanderung am Raudfjord soll nicht allzu schwer sein und ich habe das dringende Bedürfnis nach Frischluft. Also schließe ich mich an, Erkältung hin oder her.
Gleich am Ufer finden wir Hinweise auf menschliche Bewohner der Gegend, eine Fuchsfalle, die aktiv zu sein scheint. Der Fuchs fällt hinein, sein Fell bleibt unverletzt.
Die Landschaft ist geprägt von Steinkreisen. Nein, nicht a la Stonehenge. Die Steinkreise hier auf Spitzbergen entstehen dadurch, dass kleineres Gestein nach unten rutscht und größere Felsbrocken nach oben drängen. Das ganze gibt es auch in einer langgezogenen Version namens Soliflux. Das ist typisch für den Permafrostboden.
Die Farben der Landschaft sind grau oder leicht graubraun, passend zum Himmel. unvermittelt unterbrochen von grünen Moospolstern mit rostroten Flechtenrändern. An einer Stelle sind die Steine lila.
Wir finden ein Rentiergeweih, das mehr als halb so hoch ist wie Jan. Davon tragen die Böcke zwei auf dem Kopf. Keine leichte Last! Sie nutzen es anscheinend im Winter auch als Schaufel, erzählt Jan. Ich nutze die Gelegenheit, meine Mitreisenden zu porträtieren.
Kurz darauf teilt sich die Gruppe. Die fitteren klettern eine Hügel hinauf während Holger, Bärbel, Kathrin, Maren, Johannes und ich zurückbleiben. Jan bittet uns, einfach einmal still zu sitzen und zu horchen. Ich höre das leise Rauschen des Windes, irgendwo kreischt eine Küstenseeschwalbe. Ich blicke mich um und sehe die Farben der Steine, dazwischen Flechten und Blumen und Moos. Eine wunderbare Stille.
Unterbrochen vom Funkgerät. Wir stehen auf und besuchen die Trapperhütte hundert Meter weiter. Zwei Bretter dienen als Lager, darüber ein breites Regal als Schrank, im Vorraum eine Bank und ein Schreibtisch. Der Boden wirkt marode. Wir tragen uns ins Gästebuch ein.
Nach einer langen Dingy-Tour zurück zur Antigua bekommen wir schon einmal zu essen. Die anderen folgen eine halbe Stunde später. Wie lange der ganze Tag werden wird, ahnen wir jetzt noch nicht.
Wir wachen am selben Ankerplatz auf, wie am Tag zuvor. Und täglich grüßt das Murmeltier … eh, der Sorgfjord.
Joachim gibt am Ende des Frühstücks bekannt, wie es weitergeht: unser Fernziel ist nun der Liefdefjord.
Wir werden heute den Tag über fahren, dann geht es hinein in den Woodfjord und wir werden in der Rentierebene abends wandern.
Wir sehen die Noorderlicht an uns vorbei segeln Richtung Hinlopenstraße. Ja, segeln, sie haben tatsächlich ein Segel aufgezogen, die Glücklichen!
Zu Mittag gibt es Erbsensuppe. Zum Kaffee Marmorkuchen.
Gegen fünf bin ich auf dem Vorderdeck, als Jan rauskommt und einen Wal zeigt. Möwen kreisen in der Ferne und schon mit bloßem Auge sieht man Wasser spritzen. Wo der Wal gerade ist, kann man gut an den kreisenden und dann wieder zustoßenden Möwen erkennen. Ich schalte auf Serie, auch wenn’s nur große Flosse in kleinem Meer werden wird.
Da dreht Norbert sich um und DIREKT 10 METER vom Boot ist auch eine Finne. Der Wal umkreist das Schiff und taucht immer wieder an einer anderen Seite der Antigua auf. Zu schnell für meine Reaktionsfähigkeit, aber Ursula hat’s geschafft!
Kaum wird der Motor angeworfen, zeigt sich die nächste Flosse. Bestimmt noch eine halbe Stunden schauen wir, dann geht es weiter hinein in den Fjord
Gegen acht Uhr Abends kommen wir an unserem heutigen Ankerplatz an – der Rentierebene. Sie heißt so, weil es dort … viele Rentiere (?!) geben soll.
Eigentlich sollte es ja erst Essen geben. Aber der geplante Fisch ist verdorben, Trisch schickt uns erst einmal wandern, mit einem Apfel als Wegzehrung.
Am Ufer angekommen versammelt Jan uns um sich herum und bittet eindringlich, dass wir beisammen bleiben. Denn in dieser Gegend wurde eine Bärin mit zwei Jungen gesehen.
Um unsere Zusammenbleib-Disziplin steht es nicht so gut. Mal wieder zieht sich die Menge auseinander. Ich halte mich ans nächstliegende Gewehr. Eigentlich müsste Jan mal ein bisschen durchgreifen.
Am Strand steht eine noch aktive Trapperhütte, die derzeit aber nicht bewohnt ist. Ein enger dünnwandiger Verschlag mit einem kleinen Vorraum, die Fenster sind mit einer Schiene aus Brettern verschlossen. Wie muss es wohl sein, zwischen Treibeis und meterhohen Schneewänden in der Polarnacht. Also, für meinen Geschmack steht die Hütte viel zu nah am am Wasser.
Es gibt immer wieder große Fläche mit Svalbardmohn. Sind das Rentierknochen, die da liegen? Auf dem Boden, "im Wald" wachsen Pilze. Da, eine großer Abdruck einer Bärentatze in der feuchten Erde. Und "Häufchen". Wir werfen lange Schatten. Der erste Sonnenuntergang kann eigentlich nicht mehr fern sein.
Jan und Jelle sind Ornithologen. Sie erkennen mit Adleraugen schon in winzigen Flecken am Himmel diese oder jene Vogelart. An einem kleinen Teich entdecken sie Thorshühnchen, braun gewellte Vögel, kleiner als Enten. Gleich ein Pärchen, das Weibchen ein bischen heller. Jan schleicht sind an, Elfi und Bernhard hinterher.
Bei den Thorshühnchen läuft auch ein Meerestrandläufer (ja, so einer wie man ihn auch an der Nordsee sehen kann). Anscheinend nisten diese Vögel auch hier, irgendwo in der Tundra: ich sehe immer wieder welche weglaufen oder auffliegen.
Wir kommen über eine Kuppe und Jelle sieht – einen Bären. Oh Oh, so an Land. Aber er ist bestimmt einen Kilometer oder mehr entfernt, liegt hinter einem Treibholzstamm und lässt sich die Sonne auf den Pelz scheinen. Wir schauen ihm bestimmt eine viertel Stunde beim Schlafen zu. Irgendwann schaut er kurz auf und steht. Und legt sich wieder hin.
Es geht weiter durch sumpfige Tundra und wir rechnen schon fast damit, dass es zum Schiff (und zum Abendessen) geht, aber Jan will noch einen Tümpel besuchen, bei dem er das letzte Mal Sterntaucher gesehen hat. Und tatsächlich sitzt ein Exemplar im Nest im Schilfgras. Die mit einem Teleobjektiv – ich auch :-) – dürfen mit vor laufen. Immer wieder zwei Schritt weiter: um den Vogel nicht zu sehr zu beunruhigen müssen wir eng zusammenbleiben, wirken wie eine einzige Masse. Dann wieder gespannte Stille und die Kameras fangen diesen farbenfrohen Vogel inmitten einer ebenso farbenfrohen gewaltigen Landschaft ein.
Am Abend frage ich Jan, wie er merkt, dass wir zu nah sind. Der Vogel bewegte nicht nur den Kopf sondern auch den Körper.
Einigen gehen die ganzen Vögel ganz schön auf die Nerven. Aber eigentlich sind es ja die häufigsten Tiere in diesen Breiten und ich persönlich finde sie interessant.