Von Ohrid soll es heute zurück nach Albanien gehen, aber zuerst wandern wir auf Eselspfaden durch die mazedonische Bergwelt in einem Nationalpark in der Nähe von Ohrid. Steinig, schmal, teils nahe am (großenteils) sanft abfallenden Hang. Ich bin froh um meine Wanderstiefel, mit denen dies leicht zu bewältigen ist. Besser als die Sandalen der anderen. Schlangen, wie Gernod gestern angekündigt hatte, sehen wir keine einzige. Es ist ein bisschen zu kühl dafür, sie liegen irgendwo im Gebüsch im Warmen und haben keine Lust auf Touristen. Noch nicht einmal Eidechsen lassen sich blicken. Aber zu sehen gibt es genug. Steile Felsen ragen zwischen den Hügeln auf. Eine sehr bunte Pflanzenwelt. Gisela zeigt mir Steinbrech und wilden Thymian und Schwarzkümmel. Teilweise gibt es ganze Felder gelber Königskerzen.
Ein weiter Blick über den Ohridsee und Ohrid selber in der Sonne.
Da dies für Djoser eine Pilotreise ist, verlaufen wir uns auch zweimal kurz. So werden aus hundert zu überwindenden Höhenmetern zweihundert und ich staune über meine unvermutet gute Kondition. Einem kleinen Irrweg verdanken wir auch die Begegnung mit einem Maultier, das uns etwas misstrauisch beäugt bevor es weitergrast.
Der Bus ist unterdessen weitergefahren auf den nächsten Dorfplatz. Mit lautem Rufen der Dorfbewohner und leichtem Fluchen von Molnio, unserem Busfahrer, wurde auf dem engen Platz gewendet. Wir fahren zurück zum See.
Das Wasser des Ohridsees ist bewegt, Wellen wiegen das Schilf. Irgendwie fehlt etwas, es wird erst klar, als Kathrin feststellt, das kein einziges Segelboot auf dem Wasser ist. Ob noch niemand auf die Idee gekommen ist, oder ob das wohl an der Grenzlage des Sees liegt?
Unser nächstes Ziel ist Sveti Naum. Sveti heißt auf mazedonisch „heilig“ und Sveti Naum ist damit der Heilige Naum. Ein ehemaliges Kloster, jetzt Hotelanlage, rund um einen kleine orthodoxe Kapelle mit dem Heiligengrab, die sehr gut gepflegt ist, ein dunkelblauer Kirchenhimmel bildet den Hintergrund für Geschichten aus der Heiligenlegende und aus dem alten und neuen Testament. Besonders beeindruckend ist die deutlich alte geschnitzte Ikonostase mit ihren Bildern.
Draußen vor der Kirche stolzieren Pfauen und schlagen Rad.
Und eine Nebelkrähe läßt mich bis auf einen halben Meter an sich ran.
Unterhalbt des Klosters, am Ohridsee, finde ich endlich das typische Fotomotiv aus dem Djoserkatalog: ein hellblaues Boot vor wiegendem Schilf.
Kurz hinter dem Kloster liegt die Grenze. Der mazedonische Grenzbeamte kommt in den Bus und kontrolliert unsere Vollständigkeit anhand Bildvergleich und Vornamen in den Pässen. An der albanische Grenze wenige Meter weiter erzählt Gisela, das sie schon mal lebenden Hummer über eine Grenze geschmuggelt hat (der Zeltplatz, an dem sie gegessen werden sollten lag nur wenige Meter hinter der Grenze, nein, nicht der albanischen). Und eine mit Valium betäubte Katze, weil die doch noch nie zuvor beim Tierarzt war, aber mitkommen sollte in ihre neue Heimat.
Albanien unterscheidet sich hier kaum von Mazedonien. Abgesehen von der Schrift. Der Mohn wirkt an diesem bedeckten Mittag doppelt so rot wie er eh schon ist. Und er ist hier wie dort sehr rot.
Von einer Brücke in einem kleinen See, an dem wir zu Mittag gegessen hatten, heißt uns ein junges Mädchen in einem Boot in gutem Englisch wieder willkommen in Albanien.
Pogradec ist eine Strandstadt im Dornröschenschlaf der Vorsaison. Noch sind die Strände leer, die Tretboote liegen kieloben auf dem Sand. An der Promenade spielen die alten Männer Domino.
Jugendliche stehen in Gruppen zusammen. Einer spielt Podolski und lästert – aber freundlich – ein bisschen über das schlechte Spiel der Deutschen gestern gegen die Kroaten.
Eine Gruppe Sechszehnjähriger spielt Fußball, bevor einer ausschert und mich anbettelt. Glücklicherweise reicht zweimal deutliches Kopfschütteln um ihn loszuwerden, das klappt hier wie in China.
Die Zehnjährigen Jungs sind dagegen richtig niedlich, nehmen ihren ganzen Mut zusammen, holen tief Luft und versuchen dann ihr rudimentäres Englisch.
Die Straße von Pogradec bis Korca ist abwechselnd nicht eben gut oder gerade im Bau. Zum Glück lenkt die Landschaft von der Schaukelei im Bus ab. Die Berge im Vordergrund sind im Schatten, aber dahinter leuchten die Höhen grüngelb in der Sonne.
Rund um uns herum liegt eine fruchtbare Ebene. Felder und kleine Obstplantagen in denen Jacken die Vögel verscheuchen sollen.
Frauen arbeiten mit krummen Rücken und Hacken auf dem Feld, Männer hüten Ziegen, Kühe und Schafe (zumindest war an diesem Nachmittag die Rollenverteilung so, es geht auch andersherum). Ein einsamer Mensch sprengt mit einem einzigen Schlauch ein riesiges Feld. Unser Bus erregt Aufmerksamkeit, die Leute schauen auf, die Kinder winken.
Vorbei geht es an terrassierten Bergen. Diese Terrassen wurden per Zwangsarbeit in den Zeiten Enver Hoxhas angelegt. Alle Erwachsenen arbeitsfähigen Männer und Frauen mussten helfen. Hunderte Berge wurden terrassiert. Welche Leistung!
Das wirklich Potential in den Leuten steckt merkt man auch am Bauboom im Land. Viele neue Häuser, häufig ausgelegt für Großfamilien. Teils ist das obere Stockwerk noch unfertig und wird dann eben fertiggemacht, wenn das Geld oder die Zeit da ist. An einem Haus hängt eine abenteuerliche Treppe außen an der Wand und geht bis ins halbfertige Obergeschoss. Sie erinnert mich stark an ein Möbiusband. Ob das wohl was wird?
In Korca sind wir im „Grand Hotel Palace“ untergebracht (Zitat Reiseführer: Hier gibt es gute saubere Zimmer mit Telefon und Fernsehen für 20 EUR). Immerhin, das Foyer ist monumental, wenn auch die drei Statuen einer sich entkleidenden Frau am Eingang eher in einen Puff passen würden. Ob das noch keiner gemerkt hat? Nein, das Hotel ist durchaus respektabel, die Zimmer OK, wenn auch der Boden mal einen Staubsauger vertragen könnte.
Abends ist es frisch, wir sitzen trotzdem draußen und nutzen mein Fernglas, um im nächsten Kneipenfernseher erkennen zu können, wie gerade das Fussballergebnis lautet. Vor der Kathedrale fliegt Santa in Lichtschlauchform Richtung Nordpol. Glücklicherweise nicht angeschaltet.