Früh morgens in Venedig

Will ich das wirklich, um 6 schon aufsteigen? Sicher bin ich nicht, aber schliesslich quäle ich mich doch aus dem Hotelbett. An Vaporetto-Halt von San Toma herrscht gähnende Leere. Wer ist auch schon so verrückt um diese frühe Stunde Sonntags Morgens vor die Tür zu gehen.
Drei Gondeln wippen in der leichten Dünung des Canale Grande leise vor sich hin. Paläste sind weich gezeichnet vom Morgendunst. Vorne in der Linie eins sitzt noch so ein Verrückter wie ich, die Kamera um den Hals, und wir fahre Richtung Rialto und füllen die ersten Megabytes auf dem Chip im Gegenlicht.
Die Rialtobrücke ist auch noch fast leer. Vereinzelte Venezianerinnen eilen, die Handtasche in der Hand wohl zu Arbeit. Meine Karte bekommt eine venezianische Taufe ( Sch… Möwen). Ich folge den Schildern Richtung Sankt Marco. Die morgendliche Stille wird gestört von Werbung in den teuren Modeläden links und rechts der Gässchen. Dies ist der Hauptweg der Touristenherde, die sich tagtäglich durch die Enge schiebt. Aber jetzt noch nicht.
Durch ein Tor scheint silbrig es Licht. Das muss sie sein, die Piazza San Marco. Die Mosaiken der Basilika sind gegen den Himmel noch dunkel. Die wenigen Menschen verlieren sich in der Weite des Platzes. Am Ufer wacht der venezianische Löwe über die Stadt. Das Morgenlicht glitzert auf den Wellen und der Dunst taucht die Guide ca in weiches Gegenlicht. So habe ich mir Venedig erhofft.
Zu dumm, das es im Hotel nur bis um halb 10 Frühstück gibt, aber das Morgenlicht wird grell, also nehme ich das nächste Vaporetto.

Nein … oder :-( sind das tatsächlich … eins, zwei, drei, fünf, nein dahinter sind noch mehr, sieben oder acht riesige Kreuzfahrtschiffe im Hafen. Welches Grauen. Menschencontainer. Nicht für Geld und gute Worte will ich auf so ein Schiff. Und heute werden sie die Stadt überschwemmen. Ob ich ihnen entgehen kann? Erstmal zehre ich noch von der morgendlichen Stille, die sich in mir festgesetzt hat.

Nach dem Frühstück lasse ich mich treiben, wanderte in diese Gasse und entlang jenes Kanals, suche den Schatten und bleibe staunend in der Sonne stehen. Die Kontraste sind grell, aber trotzdem kann ich das fotografieren nicht lassen. Architektur, denn auf die mich umlagern den Touristen habe ich keine Lust und so banne ich sie einfach nicht aufs Bild.

Eine kurze mittägliche Pause, dann treffe ich meine Reisegruppe. Martina, die Reiseleitung erkennt mich am Tresen. Auch Klaus und Doris sind schon da. Und Elisabeth, Alleinreisende wie ich.
Mit dem Traghetto geht es hinüber nach St. Angelo Und dann hinein in die Gassen. Martina erzählt von der Luftverpestung durch die Kreuzfahrtschiffe, die die Lungenkrebsrate erhöht, vom Aqua Alta, vom erhöhten Bürgersteigen von einer in Jahrzehnten frisch renovierten Stadt, von Zeiten in denen die Kanäle verschlammten und Zeiten, in denen sie gereinigt wurden. Von Schulkindern, die regelmäßig ihre Schule besetzen und die als erstes, bevor sie Bücher bekommen erstmal Stiefel kaufen. Gummistiefel gegen Hochwasser. Martina empfiehlt venezianische Tapas, Chicetta. Und führt uns ins Ghetto, dem jüdischen Viertel, das als erstes so hieß und in dem heute noch oder wieder jüdisches Leben zu befinden ist.
Zu Abend essen wir zu fünft mit Martina und dem in Dorsoduro noch dazugekommenem Heinrich in einem Restaurant in Canareggio, in einem Schlauch in denen ein langer Tisch mit zwei Bänken passt, mir geradem Rücken nicht sehr bequem aber in fröhlicher Runde.