Wenn man in einer Schule übernachtet, ist häufig das größte Problem, noch einen Platz unter der Dusche zu finden. Daher stand ich schon fünf Minuten vor dem Wecken um sechs auf. Platz unter der Dusche war noch, aber es waren auch schon eine ganze Reihen anderer Frauen dort.
Susanna und Barbara ließen sich ein bisschen mehr Zeit, aber wir waren problemlos schon um viertel vor acht im Bus Richtung Innenstadt. Eigentlich viel zu früh. Aber so bekamen wir noch einen Platz auf dem weiß abgedeckten Teil des Rasens vor der Schloßbühne. Ohne im taunassen Gras zu sitzen.
Der Chor sang sich ein und das übrige Publikum beteiligte sich begeistern am recken, strecken und die Tonleiter rauf und runter rutschen. Um uns herum füllte es sich, Grüppchen sassen auf dem Boden, redeten, suchten im Rucksack nach essbarem und tauschten sich aus. Susanne kramte ihr neuestes Spiel hervor: Buchstaben mussten Wörter zugeordnet werden. Dann fing das offizielle Einsingen an. Die neuesten Lieder wurden vorgestellt und mit einem ziemlichen Tempo durch gesungen. Nach ein paar Wiederholungen hatten wir es raus.
Ketzerisch überlegten wir, wie wir die Stunde Gottesdienst sprengen könnten. Da der Gottesdienst im Fernsehen übertragen wird, ist er normalerweise pünktlich fertig. Ich kann mich noch an München und Berlin erinnern, als das Publikum einfach weitergesungen und den Zelebranten vorne "im Stich" gelassen hat. Da wurde dann kräftig überzogen. Aber heute sind die Leute da anscheinend zu brav für.
Nach einem Katholikentagsteller (fünf Euro, Schweinegeschnetzeltes und ein Getränk) gingen wir gemeinsam zur Dominikanerkirche hinter dem Dom zu einem Podium mit dem zweideutigen Titel "Macht Beten Sinn". Die Kirche wirkt protestantisch schlicht, hat aber Kniebänke. Das Podium wurde eröffnet und begleitet von einem Klavierspieler und einer Saxophonistin, die das Lied "Ich steh vor Dir mit leerem Händen her" mit erstaunlich raumfüllendem Klang improvisierten.
Hier nur kurz meine stichwortartigen Notizen, über die ich noch weiter nachdenken werde
- Für Luther war beten Herzschlag und Puls des Christen.
- Das biblische Gebet kennt keine Tabus – schreien, fluchen, freuen, weinen, jubeln, alle dies kommt zur Sprache.
- Beten ist Ausdruck einer personalen Beziehung zu Gott
- Beten ist nicht Meditation
- Gibt es ein Gebet ohne Dialog?
- Sprache möchte ein Du, Klage benötigt ein Du
- Beten heißt nicht gedankenlos plappern
- Beten kann Überforderung sein.
- Beten braucht Übung, regelmässig und beharrlich. Und Selbstorganisation
- Innigkeit im Gebet ist ein Geschenk
- Die Gebetssprache ähnelt der Sprache der Poesie
- Beten kann anschreien gegen Erstarrung bedeuten, aber auch, nicht reden, nicht fühlen können bei schweren Erlebnissen
- Beten heißt, das Bewusstsein der Würde zurückerobern
- Beten heißt: Gott umarmt uns durch die Wirklichkeit
- Beten heißt zutiefst fühlen lernen, heißt Exodus aus falscher Sicherheit, das Eis der Seele spalten
- Beten ist fruchtbar
- Auch Atheisten beten (?!)
- Aber: Geht Gebet auch ohne Gott?
- Gebet sensibilisiert, aktiviert, reflektiert den Alltag und bringt ihn vor Gott
- Aber was nützt es? Man fragt auch nicht "Was nützt Liebe"?
- "Wie sähe die Welt aus, wenn nicht gebetet würde" fragte Heinrich Böll
- Gebet heißt fallenlassen
- Menschen, die beten, leben anders , das sagen auch diverse Gesundheitsstatistiken
- Agression im Gebet heißt mit ganzer Kraft aufbegehren
- Beten heißt nicht frommes und positives Denken, Beten lullt nicht ein.
Das Podium, insbesondere die Vortragen waren wirklich interessant, aber mein persönlicher Feind jeder Podiumsveranstaltung – die Schwere meiner Augenlider – machte mir arg zu schaffen.
Osnabrück ist keine große Stadt. Und die Veranstaltungsorte sind keine großen Messehallen. Aber selbst Messehallen können überfüllt sein.
Kurz gesagt: An diesem Nachmittag war alles, was sich mir ansehen wollte, überfüllt. Und so wanderte ich einfach so durch die Stadt, besuchte nochmal den Dom, in dem gerade um den Altar getanzt wurde
und Sankt Johan