Kruja und Tirana

Kruja ist das Nationalheiligtum Albaniens. Hier stand die Burg von Iskander Bey, genannt Skanderbeg, dem Nationalhelden, der Mitte des 15. Jahrhunderts für viele Jahre Albanien den Osmanen entrang und zum ersten Mal für so etwas wie ein geeinigtes Albanien sorgte. Einige sagen, dadurch hätte er Europa vor den Türken bewahrt. Angeblich wurde er sogar heilig gesprochen. Da muss ich noch mal recherchieren. Erst Jahre nach seinem Tod fiel Albanien wieder ans osmanische Reich zurück und blieb auch bis Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts ein Teil davon.

Das Skanderbeg-Museum in Kruja wurde von Enver Hoxhas Tochter gebaut – ähnlich wie die Pyramide in Tirana – und ist auch heute noch ein Denkmal albanischen Patriotismus. Ein momumentaler Bau in Burgform, der weit über Ebenen und Berge schaut. Innen ausgestattet mit riesigen Reliefs und Gemälden. Bei mir – angesichts deutscher Geschichte – hinterlässt so etwas ja einen leicht schalen Beigeschmack. Ein bisschen too much.

Uns wird erzählt, das Franz Josef Strauss Anfang der 70er auf Privatbesuch in Albanien war, im Gepäck ein Buch über Skanderbeg aus dem 16ten Jahrhundert und ein bisschen Hoffnung für die unter dem Kommunismus leidenden Albaner.

Interessanter als das Skanderbeg-Museum fand ich persönlich das ethnografische Museum von Kruja, das beste dieser Art, das ich auf der Reise durch Albanien bisher gesehen habe. Das Haus einer reichen Familie mit vielerlei Kleidungsstücken und Möbeln, einem Stall, in dessen oberen Stockwerk die Knechte schliefen und einem Frauengemach.

Kruja hat noch etwas – für Albanien – besonderes: Eine ganze Straße voller Souvenierläden. Wir hatten viel zu wenig Zeit hier. Ein kurzer Blick in die Läden hinein ließ auf viele kleine und große Schätze schließen, Antiquitäten wie Fotoapparate, Grammophone, alte Bücher, alte Trachten und vieles mehr.

Souvenirgasse, Kruja
Souvenirgasse, Kruja

An den Zügen im Bahnhof von Tirana gibt es kein einziges Fenster ohne mindestens drei Einschläge von Steinschlag. Georg will morgen mit solch einem Zug nach Shkoder (Skutari) fahren. Ein kleines Abenteuer, das dort auf ihn wartet. Heute – bevor alle außer Georg morgen wieder Albanien verlassen – hatten wir eine letzte Chance auf einen weiteren Blick auf die Hauptstadt. Ich nutzte die verbleibende Zeit am Nachmittag noch für einen Besuch im Nationalmuseum, das albanische Geschichte von der Steinzeit bis zum Ende des kommunistischen Regimes 1992 dokumentiert. Leider ist auf englisch nur teilweise dokumentiert, so betrachte ich die Bilder und stelle fest, das es viele schlechte Zeiten gab – den Zeiten mit Helden sind schlechte Zeiten. Die Zeit des kommunistischen Regimes ist hauptsächlich dargestellt durch die Demonstrationen, die dieses zum Ende gebracht haben. Die Albaner bezeichnen die Zeit des Regimes als Genozid und verdeutlichen dies mit einer dort aufgebauten Einzelzelle aus einem Gefängnis, ausgestattet mit einer Decke, einem Ring um die Gefangenen festzuketten und blutverschmierter Wand. Vierzig Jahre aus dem Blickfeld der Welt verschwunden sind dort viele schlimme Sachen passiert und der Hunger war groß.

Der Abschiedsabend war um so fröhlicher. Georg trägt Gedichte von Ringelnatz vor und Harry singt „So ein Tag so wunderschön wie heute“ und wir singen mit.
Wäre der Fußball nicht gewesen, es wäre glaube ich ziemlich spät geworden.

Von Tirana nach Ohrid in Mazedonien

Der einzige Mensch im Frühstücksraum ist ein österreichischer Forstwissenschaftler, der für die Weltbank seit zehn Jahren Projekte betreut. Immer noch mit Begeisterung für Land und Leute, wie man an den gelegentlich leuchtenden Augen deutlich merkt. Nachdem wir ihm fast fünf Minuten stehend zugehört haben, fragen wir, ob wir uns zu ihm setzen können und fragen ihn aus über Land und Leute.
In Albanien wird der Waldbestand derzeit unter den ansässigen Bauern aufgeteilt. Sie lernen, den Wald nachhaltig zu bewirtschaften, das nicht zuviel entnommen werden darf, aber das auch nichts dagegen spricht, gelegentlich in Maßen Brennholz zu holen, das ein Ausdünnen manchmal auch zum Wachstum beitragen kann.
Auch Heilpflanzen sind ein Thema. Salbei und Holunder werden angebaut, ungespritzt und ungedüngt, und auch exportiert. Nach vielen Jahren abgeschlossen vom Rest der Welt gibt es immer noch viele Leute, die sich hier in Albanien mit den Heilkräften der Natur auskennen.
Im Süden sinkt die Zahl der Menschen auf dem Land, die Zahl der Schafe aber nicht. Überweidung und Verkarstung ist teilweise ein Problem.
Kredite werden in Albanien fast nur an Männer vergeben. Die Frauen sind immer noch sehr im Hintergrund der Familie. Aber der Familienzusammenhalt ist stark und eine Frage der Ehre und die meisten Männer scheinen ihre Familien zu stützen, nicht das Geld zu versaufen.
Aber die Arbeitslosigkeit ist hoch.

Um halb neun verlassen wir – großzügig den Skanderbeg-Platz umkreisend – Tirana und fahren durchs Land. Der Speckgürtel der Hauptstadt ist gekrönt von Wehrhäusern – burgartig wirkenden Wohnhäusern, teils scheint’s uralt, teils scheint’s nagelneu. Scheint wohl in Mode zu sein. Albaner wohnen tendenziell eher in Eigentum als eine Wohnung zu mieten… Natürlich haben die meisten Albaner keine Wehrburghäuser.
Je weiter wir von der Hauptstadt wegkommen, desto bergiger wird es – Serpentine folgt auf Serpentine. Auf den Feldern türmen sich Heuhaufen, gestützt von einem Holzstecken. Frauen und Männer arbeiten mit Hacken auf den Feldern. Alte Frauen bedecken ihr Haar mit weißen Tüchern.
Dann eine Strecke, auf der jedes Haus seinen eigenen kleinen Vingert hat mit zwanzig, dreißig Stöcken.
Rasthäuser mit großen Marktschirmen gibt es alle paar hundert Meter, dazwischen Obststände.

Der erste Pass liegt auf 800 m Höhe. Ein weißes Kreuz ragt kalt in den Himmel, befremdlich in diesem Land der friedlich koexistierenden Religionen. Dann geht es hinunter nach Elbasan. Knorrige Olivenbäume säumen die Hänge.

An fünf Obstständen halten wir, bekommen wunderbar süße und saftige Aprikosen und dekorativ geknüpfte Kirschen und ein Lächeln von den Marktfrauen.
Habt ihr schon mal Maulbeeren probiert. Süß, weiß, mit leichtem Biss und lecker.

Der Esel lässt sich von den Fotografen nicht stören und nur der Blick auf die alten Industrieanlagen von Elbasan unten im Tal stört ein bisschen die Harmonie – demoliert in den Unruhen der Neunziger, die mittlerweile glücklicherweise Geschichte sind.

Die Altstadt von Elbasan ist umringt von einer großenteils erhaltenen Stadtmauer. Die Gassen sind eng und verwinkelt mit buckligem Kopfsteinpflaster, die Häuser nur teilweise verputzt, ansonsten weiß gekalkt. Die Jugend geht händchenhaltend spazieren, trotz der frühen Stunde, ich frage mich, bis zu welchem Alter hier Schulpflicht besteht. Der Steineschlepper vor dem Stadttor scheint auf jeden Fall maximal 15 zu sein.

Das moderne Elbasan mit seiner glatten Straße wirkt danach irgendwie langweilig.

Kurz hinter Elbasan sehen wir den Ohrid-See und die erste halbmondförmige dunkelgraue Silhouette eines Bunkers. Bunker übersähen in manchen Gegenden die Landschaft, nicht nur hier, in Grenznähe zu Mazedonien. Enver Hoxha, letzter stalinistischer Herrscher im Land, lebte so seine Phobien aus und fast jeder Albaner musste einen Bunker bauen oder einen mit bauen. 700.000 davon gibt es und sind auch heute fast nicht kaputt zu kriegen. Und bekommen langsam eine andere Nutzung. Für Stelldicheins der Jugendlichen.

Und dann das Foto, das für mich Albanien symbolisiert, an der Grenze zwischen Gestern und Heute, wie es aber nicht mehr lange sein wird.

Entlang eines Flusses, der um diese Jahreszeit großenteils trocken liegt, geht es weiter, hinauf in die Berge.
Uups, was macht der Bus? Nicht stehen bleiben!!

Mit größter Mühe quält sich der alte Mercedes hinauf auf 1200 m und ist kurz davor heiß zu laufen. So gerade schaffen wir es über die (unspektakuläre) Grenze nach Mazedonien und bis nach Ohrid.

Woran man merkt, das man in Mazedonien ist? Zuerst wohl durch die Straßenschilder in kyrillischer Schrift. Und alles sieht ein bisschen aufgeräumter aus. Ohrid – benannt nach dem gleichnamigen See (oder ist es umgekehrt) – ist eine Touristenstadt mit einer langen Fußgängerzone und vielen Restaurants. Tito hatte hier in der Nähe eine Villa und die Spezialität der Gegend sind endemische Forellen (also Forellen, die es nur in diesem See gibt.)

Fisch mag ich ja so gut wie gar nicht. Daher esse ich Abends zuerst einen scharfen Schafskäse mit Knobi und rotem Pfeffer und dann Schweinefleisch mit Champignons und Schafsfrischkäse. Beides köstlich.
Wenn das so weitergeht mit dem Essen, sehe ich schwarz für nach dem Urlaub.

Abends vor dem Zimmerfenster im Hotel hören wir den Motor unseres Busses aufheulen. Ich hoffe mal, das Teil wird morgen wieder fit gemacht, so dass wir übermorgen ohne Panne zurück nach Albanien kehren können.

Tirana

Das Hotel ist gut, auch wenn die Dusche keine Trennwand hat. Das Wasser ist warm, das Bett nicht zu hart und nicht zu weich. Ich wache erholt auf.

Jutta hat beschlossen, mich auf meiner Fototour zu begleiten. Ich habe sie vorgewarnt, wie lange ich manchmal verweile, aber sie beklagt sich wirklich nicht.

Unser erster Weg führt zum Skanderbeg-Platz.

Gjergj Kastrioti, geboren 1405, in der osmanischen Geiselhaft Iskander genannt, kehrte als Bey nach Albanien zurück  und sagte sich kurz darauf von den Osmanen los. Seinen osmanischen Namen behielt er – quasi: Skanderbeg. Er einigte die albanischen Fürsten und auch noch eine Zeit nach seinem Tod 1468 war Albanien kein Teil des osmanischen Reiches. Skanderbeg ist albanische Nationalheld und Freiheitskämpfer, wurde vom Papst zum "Athleta Christi" ernannt und Vivaldi hat sogar eine Oper über ihn geschrieben. Sein Markenzeichen ist ein von einem Ziegenkopf gekrönter Helm. Die Sage erzählt, er hätte eines Nachts die Osmanen durch Ziegen, an deren Hörnern brennende Kerzen gebunden waren, in die Falle gelockt und vernichtend geschlagen.
Kriegerische Zeiten.

Skanderbegs Denkmal ziert die Westseite des Platzes, umweht von der albanischen Flagge.

Der Skanderbegplatz selber ist eine Mischung aus sozialistischer Architektur, Klassizismus, einer alten albanischen und einer neuen sich im Bau befindlichen saudischen Moschee

 

und voll (abhängig vom Blickwinkel) mit Autos. Hauptssächlich Mercedes, Albanien ist das Land mit der größten Dichte an Mercedes, warum auch immer).

Dieser scheinbar so uninteressant große Platz füllt sich gegen Abend, wenn aus allen Ecken Leute dort zusammenströmen. Die Kinder können Spielauto fahren,

die Erwachsenen sitzen auf den Treppen von Oper oder Nationalmuseum und klönen und die Sonne färbt beim Untergehen dem Uhrturm der Et’hem Beg Moschee orange.

 

Aber noch ist es früher Morgen. Die Et’hem Beg Moschee Moschee schauen wir uns genauer an. Wunderschön ausgemalt mit Ranken und Blättern, überhaupt nicht arabisch aber deutlich moslemisch. Ein richtiges Schmuckstück. Im Gegensatz zu mir mit meinem geliehen knallbunt geblümte Kopftuch. Der Moscheewächter spricht rudimentär deutsch. Wir einigen uns auf "Hitler böse, Kommunismus böse, Du nett". Und ein nettes Gesicht hat er wirklich.

Für Moslems wie für Christen und Juden gab es in Albanien seit 1967 lange harte Jahre. Atheismus wurde zum Gesetz erhoben. Religionsausübung wurde verboten. Wer sich beim Beten erwischen lies hatte in Albanischen Gefängnissen wenig bis überhaupt keinen Spaß. Vierzig Jahre lang.
Aber die Wende brachte auch dort die Wende. Mittlerweile sind 60% der Bevölkerung Moslime, 30% katholisch, der Rest orthodox. Zumindest dem Namen nach.
Moslemische Frauen tragen übrigens in Albanien kein Kopftuch. Eher Spagettiträger.`

Am Busbahnhof werden wir angesprochen. Christian, ein Albaner deutlich bayrischer Sozialisation hört unser Deutsch. Und poltert in bester Stammtischmanier über die albanische Regierung und was sie (nicht) für ihre Leute tut. Korruption ist wohl noch weit verbreitet, die Armen werden ärmer, die Reichen reicher.

Die Armut in Albanien Tirana ist erst beim zweiten Blick sichtbar, wird auffällig am Partisanendenkmal an dem viele Männer herumstehen, umringt von in den Bürgersteig gebohrten Schlagbohrmaschinen – offensichtlich ihrem Handwerkzeug.

Romakinder verkaufen an der Oper Kugelschreiber und Zigaretten mit großer Hartnäckigkeit, ihre Mütter halten den Passanten ihre Babys unter die Nase und auch schon mal einen Passanten am Arm fest. Es sind aber nur wenige Roma, die betteln, eigentlich auch nicht mehr als in Frankfurt, nur aggressiver.

Ein junges Mädchen hört Christian auf Deutsch auf uns einreden und stellt sich vor, sie ist vielleicht 16, westlich gekleidet und geht auf eine deutsche Schule. Ihr Deutsch ist sehr gut, sie ist in Deutschland aufgewachsen und würde am liebsten wieder zurück. Aber Albaner bekommen kaum Visa.

Als sie weiter muss, in die Schule, ergreife ich die Gelegenheit und verabschiede uns von unserem albanischen Bayern, der gar nicht mehr zu bremsen ist.
Anmerkung: Christian wollte keineswegs Geld oder Ähnliches von uns, er wollte wirklich nur reden.

Mit meiner Baseballkappe werde ich übrigens für eine Engländerin oder Französin oder Italienerin gehalten. Amerikaner scheinen Tirana noch nicht entdeckt zu haben.

Nicht weit hinter dem Busbahnhof liegt der zentrale Lebensmittelmarkt. Gemüse und Obst, Nüsse und Sonnenblumenkerne. Im Fischlad

en halte ich den Geruch keine zwei Sekunden aus (liegt aber an mir, nicht an dem Laden). In einer großen Halle hängen Hammelhälften. Und davor rotieren Hammelköpfe am Spieß. Soll eine Delikatesse sein (?!)

Jutta will ihre Brille reparieren lassen und steuert den nächsten Brillenladen an. Der Besitzer ist findig, besorgt sich Klebe und macht den Bügel wieder fest. Und einen dicken Klebefleck mitten aufs Glas. Tja, das war’s dann wohl mit der Brille.

An der Auffahrt zum Parlament treffen wir auf einen Albaner aus Wien, wohl ein Geschäftsmann auf Heimaturlaub, nach der Kleidung zu urteilen, vielleicht auch ein Geschäftsmann mit Einfluss. Sein Deutsch ist hervorragend. Seine Ansichten lassen Nationalismus durchklingen, ich hoffe, sein Einfluss ist nicht zu groß.

Tirana ist bekannt für seine bunten Häuser. Der Bürgermeister ist Künstler und er war das triste grau der Plattenbauten gründlich leid. Und sorgte dafür, das die Häuser bunt und mit Mustern angestrichen wurden. Die Idee zieht übrigens auch im übrigen Albanien Kreise.

Blass und verloren wirkt dagegen die Pyramide – ehemaliges Mausoleum des Diktators Enver Hoxha, zwischendurch Kongresshalle und Rutsche für die Kinder, jetzt immer mehr verfallendes Momument der Vergangenheit Albaniens.

Im Park neben dem Parlament spielen die Kinder. Scharen sitzen im Kreis beieinander. Eines läuft immer rundherum und wird bei bestimmten Stichwörtern eingefangen. Ein Spiel ohne Anleitung (warum habe ich das Gefühl, das Kinder heutzutage häufig Anleitung zum spielen brauchen) und ohne Beaufsichtigung. Und fröhlich.

In der Straße zum Hotel dann wartet eine große Schar Menschen auf dem Bürgersteig. Ein Leichenwagen steht auf der Straße. Sechs junge Männer biegen mit einem kleinen Sarg auf ihren Schultern um die Ecke und folgen dem Leichenwagen. Dahinter die schwarz gekleideten Trauernden. Ein kleiner Dämpfer nach der Fröhlichkeit im Park.

Übrigens: Wenn man eines nicht machen sollte, dann ist das, Reiseschecks mit nach Albanien zu nehmen. Glaubt keinem Reiseführer. Man kriegt sie einfach nicht los. Gut, das die Geldautomaten besser funktionieren.

Das Internetcafe neben dem Hotel hat leider an diesem Abend kein Internet. Die Bandbreite ist unten. Wahrscheinlich weil der Hotelportier gerade über Yahoo einen Film guckt. OK, so komme ich heute wenigstens halbwegs früh ins Bett, mit meinem vollen Pizzamagen.

Von Frankfurt nach Tirana

Die Frankfurter Skyline wird von der aufgehenden Sonne glühend rot beleuchtet. Ich fahre zum Flughafen und habe nur einen kurzen Blick dafür. Die Schalter sind so gut wie leer und ich bin im Nu meinen Koffer los. Da hätte ich auch noch eine Stunde schlafen können. Funktioniert aber eh nicht, wenn ich im Reisefieber bin.

In München das übliche Bild. Einige Mitreisende sind am offen getragenen Djoser-Schild zu erkennen, andere bleiben bis zum Ziel Inkognito. Was nichts über ihr Verhalten während der Reise aussagt, aber irgendwie immer so ist.

Denise ist eine Belgierin aus Hannover, ungefähr siebzig und mit einem netten Lachen. Viel gereist, aber bescheiden. Sie erzählt das sie einen Extrakoffer voller Geschenke für arme Albaner dabei hat. Seltsamer Zufall, in der Geo-Reisecommunity hatte ich noch gestern mit jemand gemailt, die ähnliches im September beabsichtigt. Ich bin mir unsicher, ob Albaner vielleicht zu stolz sind so etwas anzunehmen, ob es nicht besser ist, im Land etwas zu kaufen, wenn man schenken will. Ich werde mal beobachten, welche Reaktionen Denise bekommt.

Ich studiere albanische Gesichter in den Bänken gegenüber. Wie kann man die am besten fotografieren. Ja, die Fotoverrücktheit hat mich schwer gepackt (und wo wir beim Thema sind: schade, das ihr nicht dabei seit, Elfi und Kathrin).

Vom Flugzeug aus – quer über die Alpen – nähern wir uns unserem Ziel. Dann geht es über Albanien in den Sinkflug. Das Flugzeug navigiert zwischen den sich auftürmenden weißen Cumuluswolken, leg sich in die Kurve und berührt sie so gerade nicht. Noch nie bin ich auf diese Weise geflogen. Magisch.
Dazwischen immer wieder Einblicke auf Berge und weite Ebenen. Felder getrennt durch breite grüne Streifen. Blaue Flüsse schlängeln sich durch die Landschaft und entlassen ihre braune Last an Erdreich ins Meer.
Also, alleine wegen dieses Blickes würde es sich schon lohnen, nach Albanien zu fliegen.

Dann sehen wir Tirana. Zwischen schwarz und regnerisch verhangenen Hügeln breitet sich die Großstadt im Sonnenlicht aus als könnte es nichts Schöneres geben.

Der Mutter-Theresa-Flughafen von Tirana (ja, sie war Albanerin, sagen zumindest die Albaner) ist winzig, eine Ankunftshalle mit genau einem Gepäckband und eine noch kleinere Abflughalle. Dafür geht alles ziemlich fix. Vor dem Gate steht Gernod – unser Reisebegleiter (Elfi, wie hieß eigentlich Dein Reisebegleiter in Südamerika?) – im roten Albanien-T-Shirt mit schwarzem Doppeladler nicht zu übersehen. Ich begrüße ihn und die (fast) vollständige Gruppe.

Das Wetter hält sich, bis wir vom Hotel den Welcome-Drink erhalten, dann gießt es auf einmal wie aus Kübeln.

Zweihundertfünfzig Meter vom Hotel setzen wir uns zum ersten Kennenlernen zusammen. Vier Paare zwischen 25 und 75, zwei allein reisende Männer, drei allein reisende Frauen und Gernod. Zwei weitere Männer werden erst morgen dazu stoßen. Altersdurchschnitt recht hoch, aber das muss nicht unbedingt etwas heißen.
Ich teile mein Zimmer mit Jutta – 57 Jahre alt, blonde Kräusellocken a la 80iger, viel gereist und sehr gesprächig. Und wohnt in Griesheim, Frankfurt.

Es hört nicht auf zu regnen. Egal, wir machen unseren ersten Rundgang durch Tirana und Gernod zeigt uns, wo die wichtigsten Sehenswürdigkeiten zu finden sind. Aber davon erzähle ich morgen mehr, wenn ich alleine losziehe.

Der Ruf des Muezins von der Et`hem Beut-Moschee "läutete" um kurz vor Sechs den Abend ein. Im Restaurant dann die ersten Sprechversuche in Albanisch. Diese Sprache ist ganz anders und hat nur wenige Lehnswörter aus romanischen Sprachen oder dem Griechischen und Türkischen. Mal schauen, wann ich den ersten Lachanfall ernte mit meinen Verständigungsversuchen :-).
Ach ja, es gibt gebratenen Blumenkohl und als Hauptgericht Tournedos mit Calvados (d.h.. Schnitzel ohne Panade mit ganz dünnen Apfelstreifen, war aber gar nicht übel. Na, wie wär’s als Nächstes damit Michael ;-)

Am Abend füllen sich die Straßen in der Nähe der Restaurants zusehends. Schließlich haben wir EM und Albanier sind fußballverrückt. Aus den Kneipen klingt Jubel und Entsetzensschreie – abhängig von der unterstützten Mannschaft.

Zum Thema Abenteuer:
Ich schlage die Bürgersteige Tiranas vor – insbesondere in der Dunkelheit. Wenn man genau hinschaut, sind die Bürgersteige nur dort gepflastert, wo der anliegende Ladenbesitzer genug Geld hat. Ein armer Besitzer eines Gemüseladens muss wahrscheinlich gelegentlich verzweifelt zusehen, wie einer seiner Kunden in einem offenen Gulli verschwindet.