Aufgesetzt

Gegen drei kommen wir am Raudfjordgletscher an und Joachim beginnt, wie am Monacobreen, die Gletscherwand entlang zu fahren. "Falls da eine größere Welle kommt, lasst die Tür zum Salon bloß zu. Lauft besser aufs Oberdeck, das reicht." ruft er von oben. Wir fahren im Nebel die Wand entlang. Eine gespenstische Stimmung und Stille. Der Fotoapparat zeigt kaum Kontraste auf dem Bildschirm. Ich höre noch nicht einmal Vögel. Nur Elfi meint später, sie hätte Glocken gehört.

Dann hören wir auf einmal doch etwas. Fast haben wir den Gletscher abgefahren, da knirscht es laut vernehmlich unter dem Bug. Yolanda erzählt später, sie hätte Joachim noch kurz fluchen gehört "Funktioniert dieser blöde Tiefenmesser mal wieder nicht". Und schon sitzen wir fest. Der Motor röhrt, das Schiff bewegt sich keinen Meter. Sch… Was nun?

Joachim kommt heraus und nun müssen wir Passagiere heran. Wir werden von einer Seite des Schiffs zur anderen geschickt und merken, wie das Schiff sich durch unser gesammeltes Gewicht bewegt. Ziel ist es, das Schiff frei zu schaukeln. Dann müssen wir nach vorne und die Gelenkigen setzen sich vorn auf den Klüverbaum. und ins Netz. Wieder röhrt der Motor.

Alles hilft nichts. Wir sitzen fest.

Irgendwie müssen wir das Schiff dazu kriegen, höher im Wasser zu liegen. Also werden als nächstes die Bierfässer unter den Dielen im Kabinenflur hervorgeholt. 22 Stück stehen kurz darauf einsam am Strand.
Es reicht nicht.

Als letztes werden wir Passagiere von Bord geschickt.

Die meisten haben trotz Gelächter ernste Gesichter. Was nimmt man mit? Wie lange wird es dauern? Müssen wir abgeholt werden? Immerhin liegen andere Schiffe in der Nähe. Was zieht man an. Ich nehme meine dickste Hose, ziehe die Regenhose noch über, einen extra Pulli. Über den Flur höre ich "Also, Kreditkarte und Ausweis sollte man immer dabei haben". Gute Idee. Und packe beide in die Innentasche meiner Jacke. Die Rettungsdecke lagert dort schon seit Beginn der Reise, als wir sie bekommen haben.

Wir setzen zum Geröll unterhalb der Gletscherzunge über ,auf dem schon die Bierfässer stehen. Man muss aufpassen, wo man hin tritt, denn die kleineren Steine fangen an, sich zu bewegen. Zwei Stiefel versinken bis über die Knöchel im Match. Besser nicht bewegen. Ich suche mir einen großen Felsbrocken zum hinsetzen.

Jan und Jelle nehmen die meisten mit auf Wanderung, aber ich habe keine Lust über Steinbrocken zu klettern und auch viel zu viel an und Kathrin sowieso nicht. Auch Waltraud mit ihren viel zu großen zwei rechten Stiefeln und Maren setzen ebenfalls wieder zum Schiff über. Barbara war schon zuvor zurückgeholt worden.

Das Wetter klart auf.

Wir beobachten atemlos das Geschehen an Bord. Joachim kommt im Taucheranzug aus der Kabine. Trisch hängt ihm die Flasche um. Mir graust beim Gedanken an dieses im Sinne des Wortes eiskalte Wasser.
Er steigt hinab, gefolgt von einem Stein und einer orangefarbenen Boje.

Nach fünf Minuten kommt er wieder hoch, mit kältestarrem Gesicht. Das Gesicht fragt Trisch, nein, die Finger, meint er und sie wärmt sie mit Händen und Handtuch bis er aus den Sachen raus kann und sich unter der warmen Dusche – das Wasser funktioniert noch – wärmt.

Im Niedrigwasser hat sich die Antigua geneigt, liegt in einem Zwanzig-Grad Winkel glatt auf dem Kiesbett auf. Auf der Strecke die Joachim in den fünf Minuten geschafft hat, waren keine Schäden zu erkennen. Ein beruhigendes Gefühl.

Jetzt hilf nur noch warten auf die Flut.

Wir gehen in den Salon während das Schiff sich weiter neigt. Kati mein, das wäre wie segeln unter Segeln, nur ruhiger. Dirk meint, so eine Schräglage hätte er er noch nicht erlebt. Sabine meint nur entsetzt "Das Schiff liegt schräg, dann liegt ja auch das Klo schräg." .. Immerhin funktioniert es noch.
Nicht nur das Klo ist schräg, die Kojen auch. In Fall von Kathrin und mir würde das bedeuten, an die Wand zu rollen. Aber mich überkommt eher die Gedanken an eine bedrückende Enge. Nein, schlafen will ich jetzt nicht, da unten. Irgendwann fange ich dann an, meine Bilder weiter zu bearbeiten.

Nach drei Stunden werden die Anderen wieder aufs Schiff geholt. Getränke gehen jetzt aufs Haus. Die Küche funktioniert auch noch, der Hunger ist keinem vergangen.

Draußen schwimmt eine Eisscholle vorbei, die aussieht wie Neptun, der sich gerade schräg lacht.

Wanderung am Raudfjord

Die morgendliche Wanderung am Raudfjord soll nicht allzu schwer sein und ich habe das dringende Bedürfnis nach Frischluft. Also schließe ich mich an, Erkältung hin oder her.

Gleich am Ufer finden wir Hinweise auf menschliche Bewohner der Gegend, eine Fuchsfalle, die aktiv zu sein scheint. Der Fuchs fällt hinein, sein Fell bleibt unverletzt.

Die Landschaft ist geprägt von Steinkreisen. Nein, nicht a la Stonehenge. Die Steinkreise hier auf Spitzbergen entstehen dadurch, dass kleineres Gestein nach unten rutscht und größere Felsbrocken nach oben drängen. Das ganze gibt es auch in einer langgezogenen Version namens Soliflux. Das ist typisch für den Permafrostboden.
Die Farben der Landschaft sind grau oder leicht graubraun, passend zum Himmel. unvermittelt unterbrochen von grünen Moospolstern mit rostroten Flechtenrändern. An einer Stelle sind die Steine lila.

Wir finden ein Rentiergeweih, das mehr als halb so hoch ist wie Jan. Davon tragen die Böcke zwei auf dem Kopf. Keine leichte Last! Sie nutzen es anscheinend im Winter auch als Schaufel, erzählt Jan. Ich nutze die Gelegenheit, meine Mitreisenden zu porträtieren.

Kurz darauf teilt sich die Gruppe. Die fitteren klettern eine Hügel hinauf während Holger, Bärbel, Kathrin, Maren, Johannes und ich zurückbleiben. Jan bittet uns, einfach einmal still zu sitzen und zu horchen. Ich höre das leise Rauschen des Windes, irgendwo kreischt eine Küstenseeschwalbe. Ich blicke mich um und sehe die Farben der Steine, dazwischen Flechten und Blumen und Moos. Eine wunderbare Stille.

Unterbrochen vom Funkgerät. Wir stehen auf und besuchen die Trapperhütte hundert Meter weiter. Zwei Bretter dienen als Lager, darüber ein breites Regal als Schrank, im Vorraum eine Bank und ein Schreibtisch. Der Boden wirkt marode. Wir tragen uns ins Gästebuch ein.

Nach einer langen Dingy-Tour zurück zur Antigua bekommen wir schon einmal zu essen. Die anderen folgen eine halbe Stunde später. Wie lange der ganze Tag werden wird, ahnen wir jetzt noch nicht.

„Der Tag der tausend Photos“ oder „Nicht der Hornsund“

Der Hornsund, das ist ein Fjord am südlichen Ende von Spitzbergen, auf der anderen Inselseite, von uns aus gesehen. Er wird immer wieder als einer der schönsten Fjorden Svalbards gepriesen. In einer Ecke unseres Schiffes wird immer wieder gedrängt: Wir wollen den Hornsund sehen. Ich hatte das ja auch erst überlegt, mich aber schon länger davon verabschiedet, da ich mitbekommen hatte, dass dies bedeuten würde, fast nur noch auf See zu sein. Und ich finde das Land hier doch noch faszinierender als die See.

An diesem Morgen kommt der Kapitän nach dem Frühstück und bittet uns um eine Entscheidung. "Wer von Euch will alles umbedingt" (Betonung auf umbedingt) "zum Hornsund". Aus der bewussten Ecke kommt ein "Na, alle". Joachim meint nur lakonisch: Alle die hier "alle" gesagt haben wollen zum Hornsund. Das wären dann 6 von 32 Personen." Anscheinend wird denjenigen welchen erst jetzt bewusst, dass gar nicht so viele an den Hornsund wollen. Als weiter diskutiert wird, wird Joachim etwas ungehalten: "Der Hornsund, das bedeutet, den Rest der Zeit auf See zu verbringen. Mit geringer Wahrscheinlichkeit, den Sund ohne Nebel zu erleben. Wollt ihr das wirklich?" Dann ist die Diskussion, zumindest bis zum Ende der Reise, beendet.

Wir verlassen den Bockfjord und fahren zum Ausgang des Woodfjords. Genauer wollen wir das.

Tja, dann kommt der erste Zwergwal.

An etwa an derselben Stelle wie zuvor. Beobachtet man die Möwen muss es hier sehr fischreich sein. Sie stoßen immer wieder ins Wasser.

Und dann die Zwergwale.

Und ziemlich genau um viertel vor Vier stehe ich ganz hinten hinter den Seilen am Schiffsende und schaue in eine andere Richtung als alle anderen. Da, wieder eine Finne, die sechste heute. Ich schalte auf Serie und lasse laufen und denke – oh, dass dauert aber lange … das ist kein Zwergwal. Ich stehe mit offenem Mund und blättere schnell noch mal durch meine Bilder.

1,2,3,4,5 Sekunden. Und die Finne so weit hinten. Und schreie "Finnwal!". Laufe zu Jelle, der an der Bordseite steht. Er ist sich nicht absolut sicher, meint ich solle runter zu Jan, aber ich starre nur auf die Stelle, wo der Wal verschwunden ist in der Angst etwas zu verpassen. Aber es tut sich nichts mehr. Er ist wohl weg :-( So gehe ich runter und lasse mir von Jan bestätigen, dass ich tatsächlich und als Einzigste den ersten Finnwal dieser Reise gesehen habe :-)

Wir stehen und schauen. Immer wieder macht der Kapitän den Motor an und will weiter und es kommt die nächste Finne. Und wieder Motor aus. Und nur wenige hält es dann noch auf den Bänken im Salon.

Von halb Vier bis Neun Uhr Abends sehen wir immer wieder welche. Das ist das schöne an der Reise und der ausgefallenen Hinlopenstraße: Wir haben Zeit. Jede Menge davon. Und so stehen wir und schauen, trinken Kaffee und schauen weiter und genießen dieses Schauspiel.

Um fünf gehe ich rein überspiele eine Speicherchip und scanne die Ergebnisse als einer meiner Mitreisenden in den Salon gelaufen kommt, laut rufend: "Jan, komm raus!". Ich hinterher. Und ich sehe den Finnwal in vielleicht dreißig Metern Entfernung gerade noch abtauchen.

Jetzt wird es richtig spannend. Der Finnwal verschwindet nämlich nicht – wie mein persönlicher Erstling – sondert taucht nach ca. 5 Minuten wieder auf. Und erscheint drei Mal und öfter an der Oberfläche, ehe er mit rundem Rücken wieder abtaucht.

Mein Autofokus spinnt immer wieder. Im Nebel kann er die Wale nicht richtig fokussieren, springt hin und her.

Wie hatten bestimmt vier oder fünf Sichtungen. leider kann man es nur an bestimmten Stellen oder der ganzen Tauchsequenz erkennen, ob Zwerg- oder Finnwal, so bin ich bei den meisten Bildern unsicher. Einmal schwammen vier Wale oben, kreuzten ihren Weg, jeweils zwei und zwei. Wohl zwei Fin- und zwei Zwergwale.

Erst um viertel nach Sechs kommen wir zur Ruhe und die Wale auch. Wir steuern den Ankerplatz an.

Um zehn nach Neun dann wieder ein Ruf, aber diesmal "Robben!". Jelle Adlerauge hat sie ‚mal wieder zuerst gesehen. Da mögen ja noch irgendwelche Walrücken sein, aber von nun an sind Zwergwale out. Und eine ganze Herde jagender Sattelrobben rückt ganz noch oben auf der In-Liste. Sie bilden eine lange Reihe quer durch den Fjord, fast als würden sie ein Netz hinter sich herziehen und dann tauchen sie ab. Die Gewässer sind wirklich sehr fischreich. Da, eine zweite Herde!

Sie bleiben lange unter Wasser. Jan erzählt, dass es diese Robben sind, die in Kanada wegen ihres Fells erschlagen werden. Beim dritten Mal auftauchen haben wir die Herde direkt vorm Bug, sehen, wie sie springen, sich unter Wasser überholen und auf dem Rücken liegend Geschwindigkeit bekommen. Bis sie wieder verschwinden.

Und ein Pärchen Papageitaucher im Blickfeld zurücklassen, die schließlich einem Schwarm fischender Eismöwen hinterher fliegen.

Um elf denke ich langsam nach diesem ereignisreichen Tag ans schlafen gehen, als nochmal ein Ruf ertönt (der Motor ist aus, daran können wir es nicht mehr merken). Und diesmal heißt es "Eisbär". Alles rennt raus. ich schnappe mir beim Rausrennen noch meine Jacke, gegen die Abendkälte in der Mitternachtssonne.

Draußen fragen wir uns erst mal ,wie Jelle dieser Suppe einen Eisbären hat sehen können und scannen das Ufer. Da, eine Bewegung. Ein riesiges Tier, wohl ein Männchen. Das Boot nähert sich am Anker dem Ufer und der Nebel wird durchsichtiger. Der Bär trottet vor sich hin. Jelle bittet um Ruhe, denn das Tier ist in Hörweite. Aber es lässt sich nicht stören. Erst gegen halb Zwölf verschwindet es aus unserem Blick.

Was für ein Tag.

Soll es da am Hornsund wirklich noch mehr zu erleben geben? Ich kann es mir kaum vorstellen.

Der Bockfjord

Gestern Abend ankerten wir im Bockfjord vor einem rostrotbraunen Berg mit Blick auf Spiegelungen im Wasser.

Am nächsten Morgen regnete es ‚mal wieder. Ich habe heute Nacht anscheinend geschnarcht, Kathrin brauchte Oropax. Seit gestern Abend merke ich eine leichte Erkältung.

So verzichte ich auf die Wanderung, obwohl sie zweigeteilt wird. Die Anderen sehen rostige Überreste. Und ein offenes Grab.

Aber der Tag beginnt ja erst. Und was für ein Tag es werden wird!

Der Monacogletscher im Liefdefjord

Bis wir los kommen ist es halb Zwölf. Aber wir haben heute doppelt Glück: als wir drei Stunden später am Monacogletscher im Liefdefjord ankommen, liegt kein anders Schiff vor Ort.

Der Gletscher kommt immer näher und es kühlt deutlich ab. Als ich vom Umziehen aus dem Schiffsbauch komme ragt eine Eiswand über uns auf, die das Schiff schrumpfen lässt. Man hört es knacken.  Der Gletscher ist großenteils weiß bis (in den Löchern) tief blau. Aber an den Rändern ist er von schmutzig braunen Striemen durchzogen.

Vögel kreischen. Ein Schwarm Eismöwen fliegt vor einer Höhle immer wieder auf und ab. Habe ich da „ein Schwarm gesagt“, dass sind hunderte oder tausende von Vögeln. Wie ein Band ziehen sie sich weit in den Fjord hinein. Jelle erzählt, die Fische bekommen in Gletschernähe einen Osmoseschock und sind daher für die Eismöwen leicht zu fangen: sozusagen Buffet. Bei Rolf liest es sich etwas anders: Unterirdische Schmelzwasserströme bringen Nährstoffe und Plankton an die Oberfläche.
Ich bin fasziniert. Mit so etwas habe ich nicht gerechnet. One of those moments in time. Zumindest für mich. Solch ein riesiger Schwarm.

Das Schiff zieht an den Möwen vorbei und gleitet weiter. Hinter der nächsten Ecke wartet ein noch viel größerer Schwarm auf uns . 
Ich bin hin und weg und habe fast Tränen in den Augen. So etwas schönes.

Wir verabschieden uns vom Fjord mit einer Runde um den bisher einzigen großen Eisberg den wir auf dieser Reise gesehen haben. In Dunkelhimmelhellbau.

Und mit einem Blick in die großen freundlichen Augen einer Bartrobbe, die da mitten auf einer Eisscholle liegt, eingerollt in ihren Pelz wie eine Wurst.

Hinter uns, wir sind schon ein gutes Stück weg, bricht ein großes Stück vom Gletscher ab.

Und zum Schluß eine Tsunami
Und zum Schluß eine Tsunami