Heute ist unser Ziel Girokaster, Geburtsstadt von Enver Hoxha, dem Diktator und Ismael Kadare, dem preisgekrönten Dichter Albaniens. Eine lange Fahrt ist angekündigt. Ich bin recht müde und nicke zwischendurch immer wieder ein.
Einmal öffne ich die Augen und zucke doch kurz zusammen – weil ich einem Mann mit Gewehr ins Auge blicke. OK, er war 200 m den Hang rauf und hatte das Jagdgewehr zwischen beide Ellenbogen auf den Rücken geklemmt, aber trotzdem. Wir sind schließlich in den Schluchten des Balkan.
Gegen viertel vor Zehn starte Gernod wieder eines seiner Experimente (wir sind schließlich auf Pioniertour, die erste Reise, die Djoser hier macht). Der halbe Bus (die mutige Hälfte), steigt in einer der Serpentinen aus. Dort geht ein Weg ab, der bis zum nächsten Dorf zu führen scheint. Am übernächsten Dorf wollen wir dann die Übrigen wieder treffen.
Der Weg bleibt zwar nicht so schön breit und ausgebaut, wie er zu Anfang schien, ist auch teils leicht morastig, steinig und recht schmal, aber ansonsten gut gangbar. Ich bin trotzdem froh über meine Wanderstiefel, die anderen haben anschließend mit ihren Treckingsandalen leicht schlammige Füße.
Gelegentlich schaut jemand durch eine Hoftür und wir grüßen mit Hallo oder Mire Dita („Guten Tag“ auf albanisch).
Auf einer Wiese sehen wir von weitem schon ein Mädchen im Wipfel eines Baumes Kirschen pflücken. Ihre Mutter steht unter dem Baum und ihre Oma kommt kurz darauf mit einer Schürze voller Kirschen, die sie uns in die Hände schüttet und spitzbübisch grinst, als die Kirschen gar nicht in die Hände passen (zum Glück hat Denise einen Plastikbeutel dabei, lecker Kirschen!). Ich frage die Frau, ob ich ein Foto machen dürfe. Da muss sie erst mal ihr schwarzes Kopftuch neu falten, ihren Pony arrangieren und dann stellt sie sich in Positur. Ich zeige ihr das Foto auf dem Bildschirm und sie streicht mir dankbar übers Haar, so dass ich mich bald wieder wie ein kleines Mädchen fühle.
Tatsächlich haben wir den richtigen Weg gefunden. Vorbei an Hühnern, riesigen Malven und Weinstöcken erreichten wir wieder die Straße und sehen oberhalb am Dorfplatz auch schon den Bus stehen, der uns dann durch die Serpentinen entgegen kommt, drei albanischen Motorradfahrern folgend.
Weiter geht es durch die grandiose Bergwelt der albanischen Alpen mit vielfältigen Gesteinsarten, weiten Blicken, steilen Abhängen, teils bewaldet, teils felsig, teils mit Gras bewachsen. Vereinzelt Ziegen, Schafe und Kühe, aber großenteils menschenleer.
Einsame Weite mit vielen lohnenden Fotostopps.
Das Essen ist heute ein ziemlicher Reinfall. Mittags gibt es einen Teller Pommes, den wir
uns teilen, sie sind total fettig, noch fettiger und zudem kalt ist das Lammfleisch, das es bei der eigentlichen Mittagspause gegen drei gibt. Überhaupt: wenn man hier in Albanien Fleisch bestellt, gibt es immer gleich wahre Berge davon, ohne Beilagen und Gemüse, die man extra bestellen muss.
Die Gruppe ist diesmal im „First Hotel“ in Girokaster untergebracht. Jutta und ich haben mit Zimmer 303 ein Eckzimmer mit Panoramablick durch zwei aneinandergrenzende Fenster. Dafür allerdings eine Dusch-Klo-Kombination. Man kann halt nicht alles haben.
Gegen sechs Abends fängt die Straße unter uns an aufzuleben. Die Leute flanieren auf der gegenüberliegenden Seite (auf der Straßenseite des Hotels wäre das auch kein leichtes Spiel gewesen, bei den riesigen Löchern (man sollte eigentlich sagen Abgründen) im Bürgersteig). Einige Flaneure sind richtig fein gekleidet, in Anzug und Abendkleid, ein kleines Mädchen im weißen Kleid mit Blumenverzierungen. Oben auf den Balkonen sitzen die Leute, trinken Kaffee und schauten zu.
Gegen Neun leeren sich die Straßen dann wieder. Die Musik hört aber keineswegs auf. Laut klingt sie über die Stadt. Es wird Mitternacht, es wird zwei Uhr, …, gegen halb vier muss ich übermüdet eingeschlafen sein, oder die Musik wurde dann doch abgestellt.
Wie wir am nächsten Morgen erfahren, war ein paar Häuser weiter eine Hochzeit mit albanischer Livemusik (die Musik war ja auch nicht schlecht, aber …). Dieter, auf der Suche nach der Lärmquelle, war eingeladen worden und hatte die Braut geküsst und bis um vier mitgefeiert.